Eine Liebesgeschichte zwischen Monster und Mädchen erzählt Guillermo del Toros "The Shape of Water".

Foto: Venedig Filmfestspiele

Ein Filmfestival ist ein ungeeigneter Ort, um länger über einen Film nachzudenken. Das ist bei den Filmfestspielen in Venedig, einem der wichtigsten Festivals dieser Art, nicht anders. Auch hier zählt die schnelle Meinung. Denn die mitunter recht künstliche Aufregung nach der einen Weltpremiere oder dem anderen Starauftritt am roten Teppich hält nur ein paar Stunden oder höchstens einen Tag, dann wartet schon das nächste Ereignis, das es zu kommentieren und unbedingt zu bewerten gilt.

In dieser Hinsicht liegen derartige Kinogroßveranstaltungen wie hier am Lido am Puls der Zeit: Man findet sich in einer medialen Blase wieder, in der man anscheinend sogar gerne unter sich bleibt. Im Kinosaal kann man feststellen, dass die meisten Besucher gerne beides hätten – einerseits auf der Leinwand etwas unerwartet Neues zu sehen, das man dann andererseits aber wieder schnell und gut einordnen kann.

Diesbezüglich brachten die ersten Festivaltage das gewünschte Ergebnis, erfüllten doch US-Altmeister Paul Schrader mit First Reformed und der für seine eigenwilligen Stoffe bekannte Mexikaner Guillermo del Toro mit The Shape of Water die in sie gesetzten Erwartungen.

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Die Atmung des Amphibienmanns

Del Toros unkonventioneller Zugang zum fantastischen Genre findet in einer Geschichte aus den frühen 1960er-Jahren ihren Niederschlag. Sally Hawkins spielt darin die Reinigungsfrau Elisa, die in einem Hochsicherheitslabor der US-Regierung arbeitet, als ebendort eines Tages ein mysteriöser Amphibienmann eingeliefert wird. Vor allem seine Atmungsorgane sind für die Wissenschaftler und Militärs von Interesse, erhofft man sich doch im Wettrüsten mit den Sowjets einen entscheidenden Vorteil bei der Raumforschung: America first.

In der sich sehr ungewöhnlich entwickelnden Liebesgeschichte zwischen Monster und Mädchen (die beide diesen Vorgaben nicht so recht entsprechen wollen), die The Shape of Water in den Vordergrund rückt, stecken dabei unzählige filmhistorische Referenzen – an die Monsterfilme der 1950er-Jahre ebenso wie an das klassische Musical –, wobei del Toro immer wieder geschickt Bezüge zur Gegenwart herstellt. Eingebettet in die Ära des Kalten Krieges entwirft The Shape of Water das Bild einer Gesellschaft, die dem Fremden, das sie als Bedrohung empfindet, nur mit Gewalt zu begegnen weiß. Dabei ist Michael Shannon, der als brutaler Sicherheitschef der Kreatur seinen ganzen Hass entgegenbringt, selbst ein Gefangener einer brutalen Hierarchie, innerhalb derer man sich keinen Fehler erlauben darf.

Vieles erinnert hier an del Toros großartigen, in der Zeit der Franco-Diktatur spielenden Film Pans Labyrinth, nur dass The Shape of Water die Fantastik und den Realismus diesmal eng miteinander verwebt, die eine Welt mit der anderen auf bemerkenswerte Weise kurzschließt: das strahlende Grün des Wassers mit dem stählernen Grau des unterirdischen Labors; Elisas karg eingerichtete Wohnung mit einem darunter liegenden luxuriösen Filmpalast, in den sich irgendwann das Wasser ergießt, weil es wie die Liebe unaufhaltsam strömt.

Von Selbstaufgabe, Demut und körperlichem sowie seelischem Leid erzählt Paul Schraders Film "First Reformed".
Foto: Venedig Filmfestival

Vom Paradies zum apokalyptischen Szenario

Auch Paul Schrader, der sich seit Jahrzehnten als Autor (Taxi Driver) und Regisseur (Affliction) an der schmerzhaften Selbstzerstörung des Menschen und seiner Hoffnung auf Erlösung abarbeitet, hat mit First Reformed einen Film vorgelegt, der sich wie ein weiterer Baustein in das bisherige Œuvre fügt. Ethan Hawke wird als Pastor einer kleinen Kirche von der schwangeren Mary (Amanda Seyfried) um Hilfe gebeten: Angesichts der globalen ökologischen Katastrophe, die über die Menschheit hereinbrechen wird, hat ihr Mann jede Zukunftshoffnung verloren. Doch je mehr der Pastor der jungen Mutter helfen will, desto größer werden seine eigenen Zweifel.

Schrader findet für diese erbitterte Erzählung über Selbstaufgabe, Demut und Zusammenfall von körperlichem und seelischem Leid wiederholt verstörende Bilder, wie sie seit langem nicht mehr von ihm zu sehen waren. In einer Art Traumsequenz entschweben der Pastor und die Frau buchstäblich in die Lüfte, um die Welt so zu sehen, wie sie geworden ist: vom Paradies zum apokalyptischen Szenario.

Die Doku "The Devil and Father Amorth" von William Friedkin begleitet den berühmtesten Exorzisten des Vatikans bei der Ausübung seines Handwerks.
Foto: Venedig Filmfestival

Ai Weiwei macht alles falsch

Dass sich auch US-Veteran William Friedkin mit Glaubensfragen auseinandersetzt, verwundert beim Regisseur von The Exorcist nicht weiter und wurde spätestens klar, als man bereits vor dem Kino vom berühmten Soundtrack ohrenbetäubend beschallt wurde. Friedkin begleitet in seiner in einer Nebenschiene präsentierten Doku The Devil and Father Amorth den berühmtesten Exorzisten des Vatikans bei der Ausübung seines Handwerks, das er so exklusiv in Szene setzt wie sich selbst. Als Fernsehdoku würde dieser Film jedenfalls bis zu seinem reißerischen Ende alles richtig machen.

Alles falsch hingegen macht Ai Weiwei mit seiner 140-minütigen Dokumentation Human Flow, die beweist, dass an dem Konzeptkünstler definitiv kein Filmemacher verlorengegangen ist: Auf seiner geschmäcklerisch ästhetisierenden Reise durch die Flüchtlingslager der Welt verliert sich Ai Weiwei in ausgewählten Perspektiven auf das Elend, während er sich in scheinbar empathischen Szenen wiederholt selbst vor der Kamera inszeniert. Auch Human Flow hat somit die Erwartungen erfüllt. (Michael Pekler aus Venedig, 1.9.2017)

Ai Weiweis 140-minütige Dokumentation "Human Flow" beweist, dass an dem Konzeptkünstler kein Filmemacher verlorengegangen ist.
Foto: Venedig Filmfestival