Erich Heckels Gemälde "Weg durch Büsche" (1907) könnte irgendwann von deutschen Behörden als "national wertvoll" eingestuft werden. Ein Risiko, das potenzielle deutsche Käufer nicht mehr in Kauf nehmen.

Foto: Wienerroither& Kohlbacher

Vor einem Jahr trat in Deutschland das neue Kulturgutschutzgesetz (KGSG) in Kraft. Darauf ist die verantwortliche Kulturstaatsministerin Monika Grütters besonders stolz. Fast vier Jahrzehnte habe man sich gesträubt, "eine Unesco-Konvention zum Schutz von Kulturgütern in nationales Recht umzusetzen", resümierte sie jüngst in der FAZ (22. 8.). Eine überfällige Korrektur "auch unter Inkaufnahme der Kritik einzelner Händler". Ziemlich vieler Händler, insistierte ihr Gesprächspartner.

Der Einwand prallte ab. Es habe "Wortführer" und "eine eigens eingeschaltete Kampagnenagentur" gegeben, verunglimpfte sie Nörgler aus den Reihen des Kunsthandels. Am Ende habe der Eindruck dominiert, dass es "mehr um den Preis, als um den Wert eines Kunstwerks geht". Eine zynische Retourkutsche, wohl auch, weil die Kritik aus der Branche bis heute anhält. Eine Evaluierung des Gesetzes ist für 2021 vorgesehen.

Für manches Kulturgut, das nach neuer Definition "besonders bedeutsam für das kulturelle Erbe" und "identitätsstiftend für die Kultur Deutschlands" gewesen wäre, dürfte es zu spät sein. Viele sind der Meinung, dass es sich bei diesem juristischen Wurf um ein Eigentor mit Anlauf handelte. Schon die ersten Entwürfe hatten eine massive Abwanderung von Kunst aus deutschem Privateigentum zur Folge: Einige verkauften, andere lagerten ihre Besitztümer, teils komplette Sammlungen, im Ausland ein.

Bis August 2016 waren die deutschen Ausfuhrbestimmungen harmloser Natur. Objekte, die nicht im "Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes" erfasst waren, konnten unabhängig von Wert und Güte in andere EU-Länder transferiert werden – ohne Genehmigungsverfahren, das bei der Verbringung in Drittländer eher formaler Natur war. Jene EU-Richtlinie, die Rückgaben von "unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachte Kulturgüter" regelt, bedingte nationale Rechtsvorschriften für Ausfuhren. Dort, wo es keine gab, mussten sie, wie in Deutschland, umgesetzt werden.

Über die Dunkelziffer der nun in der Schweiz, in Liechtenstein, Luxemburg, Österreich, Großbritannien oder in den USA verwahrten Kulturgüter kann man nur mutmaßen. Beispiele gibt es zuhauf, sogar für Werken lebender Künstler vom Range eines Gerhard Richter, Georg Baselitz oder Vertreter der Zero-Gruppe (Heinz Mack, Günther Uecker).

Monika Grütters, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, brachte das Kulturgutschutzgesetz auf den Weg. Zugehörige Kritik prallt bis heute an ihr ab. Laut ihr seien in den vergangenen elf Monaten nicht einmal 1000 Ausfuhrgenehmigungen für den EU-Binnenmarkt beantragt worden. Tatsächlich haben viele Privatbesitzer ihre Kunstwerke und teils ganze Sammlungen vor August 2016 außer Landes gebracht.
Foto: Axel Schmidt

Aber auch Werke von Andy Warhol, Pablo Picasso oder Claude Monet wurden abgezogen. Denn für die Definition "national wertvoll" ist die Nationalität des Künstlers unerheblich. "Emblematisch für die Sammlungsgeschichte des Rheinlands", war etwa jenes Argument, mit dem Monika Grütters 2014 die Versteigerung zweier Werke Andy Warhols bei Christie's in New York verhindern wollte. Damals fehlte die rechtliche Handhabe.

Nun liegt sie vor und sorgt für anhaltende Unsicherheiten: etwa darüber, wie die Kulturgutkriterien von den dafür verantwortlichen 16 Landesbehörden interpretiert werden. Hinzu kommt die mit Ausfuhranträgen oder "Negativattests" – die kurzfristig klären, ob Kulturgut oder nicht – verbundene Übermittlung von Daten. Womit Behörden sukzessive Informationen sammeln, auf die im Falle der Einführung einer Vermögenssteuer irgendwann zurückgegriffen werden könnte. Die Bilanz nach zwölf Monaten ist ernüchternd: Der administrative Aufwand sei enorm, die Überregulierung erhöhte den Beratungs- und Verwaltungsbedarf der Behörden, das Gesetz diene nicht dem Schutz von Kultur, sondern sei von Berliner Kontrollwut bestimmt, wie Fachleute jüngst in der Welt (1. 8.) monierten.

Die Langzeitfolgen sind selbst für Deutschland nur teils absehbar. Museen werden zunehmend auf Leihgaben aus Privatbesitz verzichten müssen. Am stärksten betroffen ist der Kunstmarkt, wo der Handel in gewissen Segmenten nahezu völlig zum Erliegen kam. Offiziell. Inoffiziell habe sich wohl einiges in den grauen Markt verlagert und erfreue sich die grüne Grenze anhaltender Beliebtheit, ist Rechtsanwalt Hannes Hartung überzeugt. Er verfasste für den Kunstversicherer AXA Art einen hilfreichen Praxisleitfaden.

2014 ließ Kasinobetreiber Westspiel (im Besitz Nordrhein-Westfalens) zwei Werke Andy Warhols ("Triple Elvis", 65,54 Mio. Euro; "Four Marlons", 55,68 Mio. Euro) bei Christie’s versteigern. Grütters wetterte gegen den Verkauf, da diese Werke "emblematisch für die Sammlungsgeschichte des Rheinlands" stünden.
Foto: Christie’s

Internationale Auswirkungen

Sammler können der von Grütters immer wieder ins Treffen geführten "Rechtssicherheit" nichts abgewinnen. Im Gegenteil: Viele scheuen das Risiko, neue Erwerbungen später nicht mehr ausführen und marktkonform wieder verkaufen zu können. Er habe Kunden, schildert Galerist Michael Beck (Beck & Eggeling), die wollen einen Nachweis, dass es sich bei dem Werk auch langfristig nicht um national wertvolles Kulturgut handle. Den gibt es nicht. Mit gewissen Segmenten handelt er in Düsseldorf nicht mehr, erklärt Beck, der im Herbst 2016 eine Niederlassung in Wien eröffnete.

Als Arbeitgeber war die Branche bislang wichtig. Der Tefaf-Studie 2017 zufolge sicherte sie rund 30.000 Arbeitsplätze (2005: rd. 19.000), die indirekten über den Dienstleistungssektor (u. a. Restauratoren, Speditionen, Druckereien etc.) noch gar nicht inkludiert. Der jährlich erwirtschaftete Umsatz lag zuletzt bei fast 4,2 Milliarden Euro: Davon flossen anteilige Umsatzsteuer (19 Prozent) an den Fiskus und bei Werken lebender Künstler (unabhängig von ihrer Nationalität) bei jedem Erstverkauf 5,2 Prozent an die Künstlersozialkasse. Fazit: Je deutlicher die Umsatzrückgänge, desto massiver werden die Konsequenzen sein. Die Auswirkungen auf den deutschen Markt betreffen auch den österreichischen und stehen demnächst (15. 9.) bei einer Kunstsachverständigentagung auf dem Programm.

International sind die Auswirkungen längst spürbar. Nicht nur auf rechtlicher Ebene und den damit verbundenen Hürden im europäischen Handel (siehe "Wissen"), sondern in der merklichen Zurückhaltung deutscher Kunstkäufer. Einerlei, ob in London, New York oder Wien. So prachtvoll Erich Heckels Gemälde Weg durch Büsche von 1907 (verso Boot mit Schlick, 1908) aus dem Angebot von Wienerroither & Kohlbacher (Wien) beispielsweise auch sein mag, ein Verkauf in deutschen Privatbesitz ist wohl Geschichte. (Olga Kronsteiner, 2.9.2017)