Man stellt sich den Beginn des deutschen TV-Duells am Sonntag so vor: Kanzlerin Angela Merkel und Martin Schulz werden im Studio begrüßt und begrüßen sich auch gegenseitig. "Ah ja", sagt Merkel, "den Namen Schulz hab ich irgendwo schon gehört. Nett, dass wir uns mal kennenlernen."

Das ist natürlich unrealistisch, aber es kennzeichnet den bisherigen Wahlkampf. Merkel tut so, als würde Schulz gar nicht existieren. Sie erwähnt seinen Namen nicht, sie befasst sich nicht mit seinen Vorschlägen und Forderungen, sie reagiert nicht auf seine Kritik – was Schulz recht frustriert.

Mit einigem Neid kann er nach Österreich blicken, wo die Konstellation im Wahlkampf ja eine recht ähnliche ist. Derzeit gibt es in beiden Ländern eine große Koalition, und sowohl in Österreich als auch in Deutschland wollen die Junioren dieses Bündnisses sich nicht mehr mit Platz zwei begnügen, sondern den Kanzler – beziehungsweise die Kanzlerin – verdrängen und selbst Nummer eins werden.

Auch tun beide Herausforderer, als wären sie in den vergangenen Jahren nicht Teil des Systems gewesen. Schulz verkauft gerne die Geschichte, dass er ja aus Brüssel kommt und nicht Mitglied der großen Koalition in Berlin war – verschweigt aber tunlichst, dass er seit 1999 in Präsidium und Vorstand der SPD sitzt, dort also Beschlüsse mitgetragen hat.

Kurz möchte glauben machen, dass er als Außenminister und Nichtvizekanzler ohnehin irgendwie über der großen Koalition in Wien schwebt und ihn die Arbeit der vergangenen Jahre eigentlich nicht tangiert.

Doch da hört die Gemeinsamkeit der beiden Herausforderer auch schon auf. Denn Kurz greift einfach geschickter an als Schulz, es gelingt ihm besser, Kern herauszufordern, als Schulz dies bei Merkel schafft. Kurz gibt seit Monaten den Takt und das Thema vor, etwa in der Flüchtlingspolitik. Natürlich hat er es da inhaltlich einfacher als Schulz. Er fordert Verschärfungen im Asylrecht, er war es, der die Schließung der Balkanroute betrieben hat. Er will eine andere Politik als Kern – und formuliert das auch deutlich.

Schulz hingegen, ein Sozialdemokrat, tut sich mit derlei hart. Seine Haltung ist in der Flüchtlingsfrage eine ähnliche wie jene von Merkel. Bei den Verschärfungen der Sicherheitsgesetze tut sich die SPD sogar schwerer, da ist die Union die treibende Kraft.

Die Devise der SPD auf dem großen Feld der Flüchtlingspolitik lautet ungefähr so: eigentlich wie bei der CDU, nur vielleicht ein bisschen anders. Ein Alleinstellungsmerkmal schaut anders aus. Und Schulz beißt sich an Merkel die Zähne aus, weil Madame Teflon ihn einfach abperlen lässt. Da ist Kern anders. Er reagiert auf Kurz' Vorschläge und adelt sie damit. Gerade hat er erklärt, bei der Senkung der Mehrwertsteuer für Urlaubsübernachtungen müsse man seriös bleiben. Das wünscht sich Schulz auch: dass die Kanzlerin auf einen Detailvorschlag von ihm überhaupt erst einmal eingehen und ihn damit wichtig nehmen würde.

Ins Duell am Sonntag geht Schulz daher mit der Maxime: Du hast wenig Chancen, also nutze sie. Das kann nur gelingen, wenn er es endlich schafft, ein Thema zu setzen, an dem auch Merkel nicht vorbeikommt, und auf ihn reagieren muss. Dann hätte er noch längst nicht die Bundestagswahl, aber vielleicht das Duell gewonnen – und das wäre schon ein Erfolg. (Birgit Baumann, 1.9.2017)