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Südkoreas Präsident Moon Jae-in (links) vor dem nationalen Sicherheitsrat. Seine versuchte Annäherung an den Nachbarn steht vor dem Scheitern.

Foto: Reuters / Yonhap

Südkoreas Präsident Moon Jae-in gab sich am Sonntag resolut: Sein Land werde es "nicht erlauben, dass Nordkorea sein Atomprogramm weiter vor antreibt". Dabei ist auch Moon klar, dass genau dies passieren wird. Allein die Eckdaten des nunmehr sechsten Atomtests Nordkoreas verdeutlichen, war um die meisten Experten diesen als "Meilenstein" werten: Als der Sprengkörper gegen zwölf Uhr Ortszeit im Nordosten des Landes gezündet wurde, löste die Explosion ein Erdbeben der Stärke 6,3 auf der Richterskala aus.

Die Auswirkungen waren sowohl im russischen Wladiwostok als auch in der chinesischen Grenzstadt Yanji deutlich zu spüren. Selbst in Südkorea gingen – erstmals nach einem nordkoreanischen Atomtest – bei den Behörden zahlreiche Anrufe besorgter Bürger ein. Minuten später folgte ein zweites Beben, voraussichtlich ausgelöst durch den Zusammenbruch des unterirdischen Tunnels auf dem Testgelände.

Zweifel an Kims Fähigkeiten

Nach ersten Schätzungen norwegischer Seismologen könnte die Sprengkraft rund 120 Kilotonnen betragen haben. Das wäre das Achtfache der Atombombe, die das US-Militär 1945 auf das japanische Hiroshima abgeworfen hat. Die Kraft der Explosion ist auch insofern von Relevanz, als das nordkoreanische Regime bereits im Jänner 2016 behauptet hat, eine Wasserstoffbombe erfolgreich gezündet zu haben. Damals meldeten einige Experten erhebliche Zweifel an. Nun aber wurde Nordkoreas Fortschritt beim Bombenbau durch eine noch weitaus massivere Detonation bestätigt.

Noch ungeheuerlicher – allerdings auch unwahrscheinlicher – ist Nordkoreas zweite Behauptung, die das Regime während einer Sondersendung im Staatsfernsehen feierlich verkündete: dass man nämlich mittlerweile imstande sei, den Sprengkopf auf einer Interkontinentalrakete zu befestigen. Damit wären Teile des US-Festlandes in Reichweite des nordkoreanischen Atomarsenals.

Ruf nach US-Waffen

Nach einem nationalen Sicherheitstreffen hat Südkoreas Präsident Moon zu neuen UN-Sanktionen gegen Nordkorea aufgerufen, die das Land "vollständig isolieren" sollen. Ebenso kündigte der linksliberale Politiker an, die Stationierung von strategischen US-Waffen in Südkorea zu diskutieren. Der Verdacht liegt nahe, dass dies auf amerikanische Atomwaffen auf südkoreanischem Boden hinauslaufen könnte. Die beiden größten Oppositionsparteien des Landes fordern dies bereits vehement.

"Südkorea findet nun heraus, dass, wie ich ihnen bereits gesagt habe, die Beschwichtigungspolitik gegenüber Nordkorea nicht funktioniert. Sie verstehen nur eine Sache", twitterte US-Präsident Donald Trump (siehe Text unten). In Seoul dürften solche Worte auf taube Ohren stoßen. Erst am Samstag hatte Trump nämlich seine Verbündeten in Südkorea vergrault – indem er, inmitten der Atomkrise, einen Ausstieg aus dem gemeinsamen Freihandelsabkommen vorbereiten lässt. Laut Washington Post haben sich sowohl Trumps Sicherheitsberater H._R. McMaster und Pentagon-Chef James Mattis dagegen ausgesprochen.

Angst um 50 Millionen

Wegen ähnlicher taktischer Fehltritte wurde der Immobilientycoon oft gescholten. Doch trotz seiner Sprunghaftigkeit unterscheidet sich Trumps Nordkorea-Politik nicht fundamental von jener der Vorgängerregierungen: Nordkorea soll mit wirtschaftlichem Druck und militärischen Drohungen zum Einlenken gebracht werden.

Dass die Drohungen wohl auch künftig – trotz des Liebäugelns mit einem Erstschlag – nicht in die Tat umgesetzt werden, hängt auch mit den 50 Millionen Südkoreanern zusammen, die zur Hälfte in der Artilleriereichweite des nordkoreanischen Militärs leben.

Diese reagieren unterdessen – wie immer – mit einer Mischung aus Ignoranz und Fatalismus: Im Seouler Stadtzentrum fand am Sonntag wie geplant ein Konzert koreanischer Popstars statt. (Fabian Kretschmer aus Seoul, 3.9.2017)