Dem Gärtner träumte Skurriles: Überall sah er Plazenten und Embryos, die sich sanft im Wind wiegen. Hatte womöglich das letzte Bier einen Stich?

Erfrischt von einer Dusche betritt er seinen Garten und freut sich über die Wucht der spätsommerlichen Blühexzesse seiner Rabatten. Es muss letzten September gewesen sein, als er in einer Hochglanzpostille von der Schönheit stehen gelassener Samenstände, von der aparten Wirkung vertrockneter Fruchtkapseln und den verspielten Impressionen aufgeplatzter Dolden gelesen hatte. Das wollte er auch verwirklichen und hat daher alle Blüten und Früchte samt Samen nicht abgezwickt, sondern bewusst an der Pflanze belassen.

Lampionblumen im Spätsommer.
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Wundersame Formen

Erst in der spätsommerlichen Vergänglichkeit offenbaren viele Pflanzen die geometrischen Strukturen ihrer Fortpflanzungsapparate. Wundersame Formen und gedeckte Farben sind zu bewundern. Besonders das transparente Silberblatt mit seinen befruchteten Samen – in Wahrheit auf Plazenten sitzende Embryonen – sticht hervor. Oder die stachelige Frucht des Stechapfels: Sie bricht auf wie eine Buchecker und wirkt alienhaft bizarr. Ebenso ungewöhnlich geformt ist das filigrane, herzförmige Gehäuse der Lampionblume, mit dem sie ihre in einer Frucht eingebetteten Embryonen umhüllt.

Erst durch das Belassen der Früchte mitsamt ihren Samen und den sich darin befindlichen Embryonen und Plazenten auf der Mutterpflanze lässt der Gärtner Fortpflanzung zu. Erst das Vertrocknen macht die Freigabe, vulgo Geburt, der neuen Pflanzen möglich. Sie fallen meist zu Boden und warten dort auf das nächste Frühjahr, um dann selbst für Nachwuchs zu sorgen.

So skurril war der Traum also gar nicht, vielleicht sogar romantisch? (Gregor Fauma, RONDO, 20.9.2017)