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Die IV hat berechnet, dass der Vorschlag der Kurz-ÖVP, nicht entnommene Gewinne von der Steuer zu befreien, bis zu vier Milliarden Euro kosten könnte.

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Wien – Tiefgreifende Veränderungen im Steuerrecht schlägt ÖVP-Chef Sebastian Kurz in seinem Wahlprogramm vor. Profitieren würden davon diverse Gruppen, zunächst Unternehmer. So fordert Kurz, Unternehmensgewinne von Kapitalgesellschaften künftig nur zu besteuern, wenn sie tatsächlich ausgeschüttet werden. Davon würden neben Aktiengesellschaften auch GmbHs profitieren.

Ein Beispiel: Eine Aktiengesellschaft macht eine Million Gewinn. Sie muss davon 25 Prozent Körperschaftsteuer (KöSt) bezahlen, also 250.000 Euro. Wenn künftig die Gesellschaft nur den halben Gewinn an Aktionäre ausschüttet, reduziert sich die Steuerbasis auf die Hälfte. Die Steuerlast sinkt damit auf 125.000 Euro.

Vorbild Estland

Mit dem nicht ausgeschütteten Gewinn können Unternehmen Wertpapiere kaufen, Investitionen finanzieren oder Schulden abzahlen. Im ÖVP-Programm ist die Rede davon, dass mit der Begünstigung von nicht entnommenen Gewinnen Investitionstätigkeiten angekurbelt werden sollen. Das bezweifelt der Steuerexperte Werner Doralt allerdings und sagt: "Die Begünstigung gibt es ja, ganz gleichgültig, ob der Unternehmer das Geld anspart oder investiert."

In Estland, das im Kurz-Papier als Vorbild bezeichnet wird, gibt es das Modell seit dem Jahr 2000. Laut einer Analyse der estländischen Notenbank haben Unternehmen dort die Steuersenkung vor allem dazu genutzt, um ihre Schulden abzuzahlen. Das hat es ihnen ermöglicht, besser durch die Finanzkrise zu kommen, weil der Geschäftseinbruch nicht sofort existenzgefährdend war, so die Analyse.

Alte Forderung der Industrie

Was aber würde die Reform den Staat kosten und Unternehmern bringen? Die Senkung der Ertragsteuern für nicht ausbezahlte Gewinne ist eine alte Forderung der Industriellenvereinigung (IV). Der Plan dort lautete etwas anders: Die KöSt sollte für nicht ausbezahlte Gewinne auf die Hälfte – auf 12,5 Prozent – gesenkt werden.

Die Experten der Industriellenvereinigung haben dazu im vergangenen Herbst eine Rechnung erstellt. Sie haben auf Basis von Budgetdaten geschätzt, welchen Gewinnanteil Unternehmen in Österreich ausschütten und was sie einbehalten. Auf Basis dieser groben Rechnung kam die IV zu dem Ergebnis, dass die Halbierung des KöSt-Satzes einen Einnahmenausfall in der Höhe von zwei Milliarden Euro pro Jahr bedeuten wurde. Die KöSt zu streichen würde auf Basis dieser Kalkulation rund vier Milliarden kosten, wie Experten bestätigen. Das Institut Eco Austria kommt bei einer ähnlichen Rechnung auf Basis einer Auswertung von ATX-Unternehmen auf 2,8 Milliarden Euro Einnahmenentfall.

Damit würde ein guter Teil der von Unternehmen bezahlten Gewinnsteuern entfallen: 7,6 Milliarden Euro hat der Finanzminister im vergangenen Jahr aus der Körperschaftsteuer eingenommen. Im ÖVP-Programm sieht diese Berechnung anders aus. Von einer Milliarde Euro Kosten fürs Budget durch die Steuerbefreiung ist dort die Rede. Woher die Divergenz kommt, ist unklar. Auf STANDARD-Anfrage hieß es aus der ÖVP nur, die Senkung der Köst würde die Konjunktur ankurbeln und zu Mehreinnahmen führen.

Nur linear abschreiben

Klar ist, dass das ÖVP-Programm künftig flexiblere Abschreibungen bei Investitionen ermöglichen will. Derzeit dürfen Unternehmen Ausgaben für neue Maschinen oder Fahrzeuge nur linear abschreiben, also in jedem Jahr mit demselben Wert. Wenn man eine vorzeitigere Abschreibung ermöglicht, könnte das einen Investitionsanreiz schaffen, sagen Steuerexperten. Eine schnelle Abschreibung würde zudem Wertverlusten durch die Inflation entgegenwirken.

Zudem sollen die Dienstgeberbeiträge für den Familienlastenausgleichsfonds halbiert werden. Die Beiträge belaufen sich derzeit für Unternehmen auf 4,1 Prozent der Lohnsumme (wobei bestimmte Abzüge erlaubt sind). Aktuell läuft eine jährliche Senkung der Beiträge, auf die sich ÖVP und SPÖ geeinigt haben. Eine Halbierung soll laut ÖVP drei Milliarden Euro kosten. Mit dem Familienlastenausgleichsfonds wird zum Beispiel die Kinderbeihilfe finanziert. Den Entgang an Einnahmen will die ÖVP via Budget abdecken.

Mittelstand profitiert

Zu den Gewinnern zählt im ÖVP-Programm auch der Mittelstand. Zunächst soll die kalte Progression abgeschafft werden: Die Einkommensteuer soll künftig nicht stärker steigen können als die Einkommen. Neue Steuertarife sind ebenso geplant. Der derzeitige Eingangssteuersatz beträgt 25 Prozent für Jahreseinkommen ab 11.000 Euro. Zwischen 18.000 und 31.000 Euro sind es 35 Prozent, darüber 42 Prozent. Kurz will die Steuerstufen auf 20, 30 und 40 Prozent drücken. Die Spitzensteuersätze für Einkommen über 60.000 Euro sollen unverändert bleiben.

Während hier der Mittelstand gewinnt, haben niedrige Einkommen davon nichts. Rund 30 Prozent der Unselbstständigen in Österreich zahlen keine Lohnsteuer, weil sie zu wenig verdienen.

Steuerfreibetrag für Kinder

Veränderungen soll es auch bei der Möglichkeit geben, Kosten für Kinderbetreuung abzusetzen. Bisher können 2.300 Euro geltend gemacht werden. Künftig soll es automatisch, auch wenn das Kind in keiner Betreuung ist, einen Steuerfreibetrag pro Familie geben, aber nur von 1.500 Euro. Das bedeutet also Verluste für Familien, die den Abzugsbetrag bisher voll geltend machen konnten.

Zu den Verlierern der Steuerpläne zählen auch die multinationalen Konzerne, deren Möglichkeiten bei Steuergestaltungen begrenzt werden sollen.

Wenig Aufschluss gibt es über die Details der Gegenfinanzierung der erwähnten Maßnahmen, abseits der Kürzungen für Migranten und Asylwerber. Im Programm ist etwa von einer Steigerung der Verwaltungseffizienz und "Einsparungen bei Doppel- und Mehrfachförderungen" die Rede. (András Szigetvari, 5.9.2017)