Israels Präsident Rivlin: "Lange auf diesen Moment gewartet"

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Erinnerung an die ermordeten Sportler bei den Olympischen Spielen in London vor fünf Jahren. Eine Gedenkminute verweigerte das IOC.

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Jerusalem/München – Im Beisein von Israels Präsident Reuven Rivlin und vieler Angehöriger der Opfer ist am Mittwoch in München der Erinnerungsort für die Opfer des Olympia-Attentats von 1972 der Öffentlichkeit übergeben worden. Rivlin bezeichnete die Errichtung eines Gedenkortes als längst überfällig.

"Fast ein halbes Jahrhundert haben die Familien der Opfer und der Staat Israel auf diesen Moment gewartet", sagte der israelische Präsident bei der Eröffnung der Gedenkstätte im Münchner Olympiapark. Einige der Überlebenden des Angriffs seien mittlerweile gestorben.

Auch die Witwe des ermordeten Fechtmeisters Andre Spitzer und Sprecherin der Hinterbliebenen, Ankie Spitzer, kritisierte in der Feierstunde, dass von deutscher Seite "jahrzehntelang" der Wunsch nach einer würdigen Gedenkstätte überhört worden sei. In der Feierstunde erinnerte Spitzer an das damalige Versagen der deutschen Einsatzkräfte und auch an das Versagen der Behörden nach dem Anschlag. Die deutschen Beamten seien "arrogant" und inkompetent gewesen, sagte Spitzer. Sie hätten "versucht, ihre unglaublichen Fehler zu vertuschen".

Elf tote Israelis

Beim Olympia-Attentat hatte die palästinensische Terrororganisation "Schwarzer September" 1972 im Olympischen Dorf in München Sportler als Geiseln genommen, um Gefangene in Israel freizupressen. In einem Appartement und bei einer anschließenden Befreiungsaktion auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck starben elf israelische Sportler und ein Polizist. Auch fünf Terroristen kamen ums Leben.

Der Anschlag mit zwölf Opfern hätte niemals passieren dürfen, "an dieser Katastrophe tragen auch wir bis heute schwer", sagte der deutsche Bundespräsident Steinmeier. Auch wegen seiner historischen Verantwortung durch den Holocaust stehe Deutschland besonders in der Pflicht, für die Sicherheit der Juden und der Israelis zu sorgen. "Nur wenn Juden in Deutschland vollkommen sicher, vollkommen zu Hause sind, ist dieses Deutschland vollkommen bei sich." Das müssten auch Menschen aus anderen Kulturkreisen akzeptieren.

Dies "beschämt uns bis heute", sagte Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle bei der Einweihung der Gedenkstätte auf dem "Lindenhügel" zwischen Olympiastadion und Olympischem Dorf. Die Spiele aber wurden damals fortgesetzt, IOC-Präsident Avery Brundage sprach seine inzwischen berühmten Worte: "The Games must go on."

"Langer einsamer Weg"

Noch heute empfinden viele Hinterbliebene darüber Unverständnis. "Die toten Körper waren noch auf dem Gelände, da gab es schon wieder Cocktailpartys", sagte Ankie Spitzer der "taz". Die Witwe des 1972 ermordeten Fechttrainers André Spitzer sprach am Mittwoch darüber, welch "langen, einsamen" Weg sie bis zur Eröffnung der "wunderschönen und bewegenden Gedenkstätte" mit Tafeln für jedes Opfer gegangen sei.

Deutsche Behörden hätten sie nach der "dunkelsten Stunde der olympischen Geschichte" über Jahrzehnte "belogen, erniedrigt und versucht, ihre unglaublichen Fehler zu vertuschen. Sie sagten uns sogar, dass wir den Terror auf deutschen Boden gebracht hätten." Ihre Mitstreiterin Ilana Romano, Witwe des Gewichthebers Josef Romano, sprach von "Antisemitismus und Mangel an Sentimentalität".

Ihr Mann und dessen Landsleute seien 1972 "voller Stolz" nach München gereist – und "kehrten in Särgen zurück. Ihr einziges 'Fehlverhalten' war, dass sie Israelis waren." Anlässlich der Einweihung empfinde sie "tiefen Schmerz, aber auch ein Gefühl der Befriedigung und der Dankbarkeit", sagte Romano.

Rivlin nannte die Erinnerungsstätte ein Mahnmal für die ganze Welt. Er kritisierte die im Westjordanland regierende Fatah scharf, diese habe noch im vergangenen Jahr die Morde als eine heroische Tat bezeichnet. "Wir dürfen dem Terror gegenüber nicht nachgeben, Terror muss angeprangert werden", sagte der israelische Präsident.

IOC verweigert Gedenkminute

Rivlin erneuerte auch eine weitere Forderung, die den Angehörigen schon seit Jahrzehnten am Herzen liegt: Sie warteten darauf, dass zu Beginn der Olympischen Spiele eine Schweigeminute stattfinden wird. Schon 2012, zum 40. Jahrestag des Attentats, war heftig darüber debattiert worden – das Internationale Olympische Komitee hatte das Ansinnen jedoch abgelehnt.

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer rief Rivlin und Steinmeier auf, sich gemeinsam gegen Antisemitismus, Radikalismus und Terror stark zu machen. "Der neue Gedenkort sollte zum Bekenntnisort für alle Besucher werden – seine unmissverständliche Botschaft lautet: Geben wir Hass und Gewalt keine Chance, machen wir uns stark gegen Antisemitismus, Terror, Hass und Gewalt."

Der damalige Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel sagte im Bayerischen Rundfunk, das Attentat sei "eine der dunkelsten Stunden in meinem Leben" gewesen. Die Mannschaft Israels sei damals trotz der Gräueltaten des Nationalsozialismus zu den Spielen in die "Hauptstadt der Bewegung" gekommen und Deutschland sei nicht in der Lage gewesen, sie zu schützen.

Der Gedenkort trägt den Titel "Einschnitt". Dort sind die Biografien der Opfer dargestellt. (APA, sid – 6.9. 2017)