SPÖ-Chef und FPÖ-Obmann beim ersten Ö1-Gespräch: Damals lobte Kern Straches "Kinderstube".

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Wien – Selbst Parteirebellen wie Julia Herr finden den von Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern unlängst ausgegebenen Plan B "erfrischend ehrlich": Im ORF-Sommergespräch hat Kern am Montag damit aufhorchen lassen, dass die SPÖ in Opposition gehen wird, wenn sie am 15. Oktober nur Zweite wird – denn dann werde Österreich wohl eine schwarz-blaue Regierung bekommen.

Anders als Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl, für den Opposition grundsätzlich "Mist" ist, findet Herr, Chefin der Sozialistischen Jugend und auf Platz 16 der roten Bundesliste für die Nationalratswahl, dass Regieren "kein Selbstzweck" sei. Selbst im Worst Case würde die Partei einiges weiterbringen können.

Doch der Befund des Politikexperten Thomas Hofer fällt für Kerns jüngste Wahlkampfstrategie weniger schmeichelhaft aus. Er spricht von einem "Zickzackkurs aus Verzweiflung", denn die Warnung vor Schwarz-Blau sei "keine große Drohung", wenn der SPÖ-Chef nicht gleichzeitig explizit Rot-Blau ausschließe – Fragen nach dieser Konstellation hat Kern im ORF als artifizielle Diskussion vom Tisch gewischt.

Hofers Fazit: Obwohl die Aussicht auf triste Oppositionsjahre die Funktionäre zum Rennen anspornen soll, seien diese "statt in den Mobilisierungsmodus in den Rechtfertigungsmodus" geraten. Damit nicht genug, stellen sich unentschlossene Wähler jetzt Fragen wie: "Übernimmt Hans Peter Doskozil die SPÖ bei Platz zwei?"

Im Rechtfertigungsmodus

Dem PR-Berater Josef Kalina geht die Interpretation der Kern’schen Oppositionswarnung "viel zu weit". Er glaubt, der Kanzler habe das nur als Konsequenz in Aussicht gestellt, falls Schwarz/ Türkis-Blau tatsächlich schon so ausgemacht sei, wie es von roter Seite gern erzählt wird. Doch auch Kalina, der als Ex-SPÖ-Geschäftsführer die Mobilisierungskraft einer solchen Drohkulisse genau kennt, spricht mit Verweis auf die Wirtschaftsprogramme von ÖVP und FPÖ von einem "Plausibilitätsgrad von 90 Prozent".

Auch Elisabeth Blanik, SPÖ-Chefin in Tirol, glaubt: Kern habe ein "realistisches Szenario" beschrieben, das sich ergebe, "wenn ich eins und eins zusammenzähle". Über Kollege Niessls "Mist" lacht sie nur und erklärt, sie sei jedenfalls niemand, der gleich zu jedem Thema seinen Senf abgeben müsse.

Einen Mangel an Meinungsvielfalt haben die Roten auch so nicht. Denn allein in der Oppositionsfrage gibt es laut Kalina "mehrere Denkschulen": diejenigen, die darin sowieso die bessere Option sehen – etwa manche Wiener, die sich von einer schwarz-blauen Regierung Aufwind für den eigenen Wahlkampf versprechen. Sowie diejenigen, die mit Sorge an die Oppositionszeit unter Schwarz-Blau zurückdenken – u.a. Gewerkschafter und Interessensvertreter, motiviert von der Sorge um den eigenen Einfluss. Je nach Untergruppe – Traditionalisten versus Niessl-Flügel – findet man hier Anhänger einer schwarz-roten oder rot-blauen Koalition.

Rot-Blau im Radio

Ein Aufeinandertreffen von Kern und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache stand am Mittwochabend im Wiener Funkhaus an. Anders als bei der letzten Klartext-Debatte auf Ö1 im November, als man sich durchaus amikal im Ton begegnete, wurde es diesmal neben inhaltlicher Differenzen auch angriffiger. Kern wollte seine Oppositionswarnung als "Realismus" ob des angenommenen ÖVP-FPÖ-Paktes verstanden wissen. Des weiteren wolle er sich "bis 15.10., 18 Uhr" ausschließlich damit beschäftigen, wie die SPÖ wieder Erster werden könne. Strache glaubt, dass Kern zu diesem Zeitpunkt womöglich bereits "Geschichte" sei. (Karin Riss, Nina Weißensteiner, 6.9.2017)

Kern und Strache Mittwochabend im Rahmen der Ö1-Sendung "Klartext" im Wiener Funkhaus
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