"Was ist Kapitalismus? Letzten Endes Zeitraub und Lebensraub", so Köck. Theater gebe Zeit zurück. Hier steht er vor einem Teil des Bühnenbildes der Inszenierung von Robert Borgmann im Akademietheater.

Foto: Georg Soulek

Wien – So unkonventionell Thomas Köcks Stücke im Druck aussehen, so grundlegende Dinge faszinieren ihn am Theater. Nämlich die Livesituation, Körper und wie sie sprechen. "Weil das der entscheidende Moment ist", sagt der 31-Jährige. "Das hat mich von Anfang an interessiert: Was sind Sätze, die man auf einer Bühne hören möchte, die man Menschen sprechen hören, die man mit Körpern kollidieren lassen möchte?"

Köck schreibt konsequent klein, ohne Punkt und Komma. "Ich habe festgestellt, dass ich so schneller und konkreter schreiben kann", meint der aus Oberösterreich stammende Dramatiker im Gespräch aus Anlass der Akademietheater-Premiere von paradies fluten am Samstag. Wenn er Satzzeichen setzt, dann Rufzeichen, ebenso oft arbeitet er mit Zeilenumbrüchen. Eins wächst ins nächste: Klimawandel, Plastikmüll, Demokratie, Finanzwirtschaft, Sozialstaat.

Rascher Erfolg

Angefangen hat Köck – der in Wien, Berlin und Leipzig Philosophie, Literaturtheorie und Szenisches Schreiben studiert, vor seinem frühen Erfolg als Autor als Regieassistent und Performer gearbeitet hat, Drehbücher schreibt und 2014 mit einem Projekt über Beirut zur Berlinale Talents geladen war – mit Lyrik und Prosa. Er fand den Literaturbetrieb aber "bräsig". Über die Performance "tauchte plötzlich Text als eine Form auf, die viel mehr kann als Prosa". Auch Musik ist ein wichtiger Einfluss, etwa für chorische Stellen.

Entstanden ist paradies fluten schon 2015, erste Stationen machte es beim Heidelberger Stückemarkt, bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen und Suhrkamp. Der Anruf von Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann habe ihn gefreut – "aber im Theater geht oft auf den letzten Drücker noch etwas schief. Ich war daher vorsichtig." Außerdem halte er sich ungern mit Erfolg und Selbstlob auf. Denn: "Eigentlich muss man sich, damit man gut arbeiten kann, ständig in eine Position bringen, wo man Probleme hat."

"Wellen, die zurückschlagen"

Das Problem, dem Köck in paradies fluten nachspürt, ist die kapitalistische Expansion im vergangenen Jahrhundert. Als er den Text 2015 geschrieben habe, "erreichte die Flüchtlingskrise gerade einen traurigen Höhepunkt, und ich dachte: Das sind jetzt die Folgen von mehr als 100 Jahren Kolonialismus und imperialistischer Ausbreitung. Das sind Wellen, die jetzt zurückschlagen, weil in diesen Gebieten jahrhundertelang Strukturen zerstört wurden."

Diese Kontinuität will Köck im Stück denken. Es dienen ihm dazu drei Handlungsstränge. Einer davon stellt eine junge Tänzerin vor, die ihren Eltern den Verkauf des Eigenheims einredet, um sich sieben weitere Jahre Ausbeutung im Prekariat leisten zu können. Ein anderer handelt von einem Architekten, der 1890 in Manaus im Dschungel Brasiliens im Auftrag von Kautschukbaronen eine Oper errichten soll. "Geschichte wird ja aus der Sicht der Sieger geschrieben", so Köck. "Und dann wird oft Kultur hergeschafft, um schlechtes Gewissen zu kaschieren. Dann feiert man das Jubiläum des Falls der Berliner Mauer und bezahlt zugleich Warlords im Maghreb, um Menschen davon abzuhalten, dass sie nach Europa kommen." Auch die Frage, wie man mit Schuld umgeht, interessiere ihn, er stellt sie auch in dem Stück jenseits von fukuyama.

Weil eben "alles eine Geschichte hat", glaubt Köck auch, dass "man die Gegenwart nur durch historische Brechung versteht. Also interessiert mich der Rückblick, um nach vorne und in die Zukunft zu schauen." Dieser Mix aus Historie und Zeitgenossenschaft hat ihm letztes Jahr für kudlich (eine anachronistische puppenschlacht) den ersten Dramatikerpreis der österreichischen Theaterallianz eingetragen. Das Stück über den Bauernbefreier und moderne Populisten tourte ausgehend vom Schauspielhaus Wien durch das Land.

Kollisionen in Worten und Gedanken

Dass das gleichzeitige Zusammentreffen von sehr viel Inhalt mit sehr viel Form fordernd, bisweilen überfordernd sein kann? Findet er einen "ästhetischen Effekt, der dazu führt, dass man anders zuhört, konstant wach sein muss. Zudem erlaubt das andere gedankliche Kollisionen." Die finden schon beim Schreiben statt. Ein halbes Jahr sei Minimum für einen Text, ein "Fertig" gebe es eigentlich nie. Nur einen "Stand". Doch einmal muss ja Schluss sein.

Die Grenze zu finden, das ist die Kunst. "kein land mehr in sicht vom bühnenrand aus", heißt es an einer Stelle im Text. Wie viel Realität braucht Bühne oder darf sie andererseits nicht mehr haben, damit Theater funktioniert? Er recherchiere und sammle viel, arbeite mit dokumentarischem Material und versuche so "an die Realität heranzukommen, zu verstehen, wie sie konstruiert ist".

Gleichzeitig sei ihm "klar – und deshalb mag ich Theater als Form -, dass das, was auf der Bühne verhandelt wird, grundsätzlich viel wichtiger und größer ist als jede Realität. Das auf der Bühne muss die absolute, maximale Größe haben. Das gehört zu dieser Kunstform dazu, zu der surrealen Möglichkeit, die dieser Ort bietet." (Michael Wurmitzer, 7.9.2017)