Nicole Ehrlich-Adám leitet gemeinsam mit ihrem Mann das Familienunternehmen Evva. Gefragt, ob und wie die Digitalisierung Frauenkarrieren nützen kann, sagt sie: "Man kann von überall aus arbeiten – das hilft sicher."

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STANDARD: Regelmäßig wird diskutiert: Führen Frauen besser, schlechter – anders – als Männer? Regt Sie diese Frage auf?

Ehrlich-Adám: Natürlich sind wir anders. Wir sind Frauen. Wir denken anders, legen etwa mehr Wert auf Kommunikation. Was mich eher aufregt, ist, dass wir überhaupt noch über das Thema Frauen in Führungspositionen diskutieren müssen. Wir haben bei Evva bei der Auswahl neuer Führungskräfte nie darauf geachtet, ob jemand ein Mann oder eine Frau ist – sondern darauf, wie er oder sie für die Position geeignet ist.

STANDARD: Sie haben in Ihrem Unternehmen einen weiblichen Führungsanteil von 30 Prozent. Reicht das?

Ehrlich-Adám: Da es ein technisches Umfeld ist, in dem wir arbeiten, ist ein großer Teil der Führungscrew im Produktionsbetrieb aus Tradition männlich. Im mittleren Management im Bereich Verwaltung hält es sich die Waage. Wo wir sicher noch ausbaufähig sind, ist im Top-Management. In der erweiterten Geschäftsleitung gibt es nur eine Frau.

STANDARD: Zu den Lehrlingen: Sie bilden derzeit sechs aus. Darunter ist nur ein Mädchen. Warum?

Ehrlich-Adám: Ich hätte gerne mehr. Je mehr Mädchen, umso besser, weil ich nichts davon halte, dass Mädchen automatisch in die Friseurlehre gehen und Burschen in den technischen Bereich. Woher das kommt? Davon, dass man Mädchen ständig einredet, sie wären mathematisch nicht begabt. Das stimmt nicht. Ich habe drei Kinder, und meine Tochter ist mathematisch genauso begabt wie meine Söhne. Da gibt es keine Unterschiede. Ich versuche ganz bewusst, unsere weiblichen Lehrlinge genau so zu behandeln wie die männlichen. Sie durchlaufen genau dieselbe Ausbildung, machen genau die gleichen Dinge. Sie sind manchmal sogar erfolgreicher als die Burschen.

STANDARD: Wo kann man konkret ansetzen, um mehr Mädchen für Technik zu begeistern?

Ehrlich-Adám: Man muss die Betriebe für Schulklassen öffnen. Der Blick hinter die Kulissen ist wichtig, um die Scheu zu nehmen. Was ein Friseur macht oder was man im Einzelhandel tut, weiß jeder. Gerade im technischen Bereich ist die Barriere größer.

STANDARD: Wie leicht oder schwer tun Sie sich damit, Lehrlinge zu finden?

Ehrlich-Adám: Wir nehmen immer nur wenige auf, daher können wir aus dem Vollen schöpfen. Was aber stimmt, ist, dass es das Bildungssystem nicht schafft, uns nach neun Jahren Ausbildung qualifizierte Bewerber zu schicken. Früher haben wir bei angehenden Lehrlingen die Grundrechenarten abgefragt – heute stellen wir leider nicht einmal mehr den Anspruch, dass sie beherrscht werden. Das ist auch das, was wir als Branche Industrie beklagen: dass die Ausbildung am Ende einer Schulpflicht nicht ausreichend ist. Dass Jugendliche nicht rechnen, nicht schreiben oder sinnerfassend lesen können. Dass sie nicht wissen, wo die Sonne auf- und wo sie untergeht. Das Schulsystem hat sich nicht mehr verändert seit Joseph II. Auch die Politik hat es leider vorangetrieben, dass ein Studium als das A und O angesehen wird – das glaube ich nicht.

STANDARD: Sie sprechen die Akademisierung an.

Ehrlich-Adám: Ja. Die duale Ausbildung ist eine Stärke dieses Landes. Wir sollten sie aufwerten, es ist eine gute Ausbildung, man lernt etwas und ist tagtäglich gefordert. Und kann danach auch noch immer an die Uni gehen. Die Möglichkeit gibt es ja heute.

STANDARD: Sie haben in einem Interview gesagt, dass es schwierig sei, gute Mitarbeiter zu finden.

Ehrlich-Adám: Ich habe den Eindruck, dass es zu wenige Menschen gibt, die eigenverantwortlich arbeiten wollen. Für uns ist das aber wichtig. Es ist wichtig, dass jeder Einzelne mitdenkt und sagt: Das ist meine Aufgabe, da kann ich einen Beitrag leisten. Allein geht es schließlich nicht.

STANDARD: Worauf legen Sie bei der Auswahl neuer Mitarbeiter noch Wert? Es heißt immer, die Schlüsselfähigkeiten der Zukunft seien Empathie und Kreativität.

Ehrlich-Adám: Da stimme ich zu. Durch flexibles Arbeiten verändert sich die Art, wie wir im Team zusammenarbeiten, massiv. Da ist Kommunikationsfähigkeit zentral. Kreativität und Innovationsfähigkeit sind uns ebenfalls wichtig. Lernbereitschaft braucht es auch.

STANDARD: Apropos Lernbereitschaft: Sie sind seit 1987 im Unternehmen. Was hat sich seitdem verändert?

Ehrlich-Adám: Der Anspruch ist in diesen 30 Jahren ein viel höherer geworden. Schon Facharbeiter und Lehrlinge müssen besser ausgebildet sein – etwa Maschinen programmieren können. Ich sage immer: Wir sind von einem Gewerbeindustriebetrieb zu einem richtigen industriellen Unternehmen geworden. Mehr Maschinen, weniger Handarbeit.

STANDARD: Die deutsche Soziologin Christiane Funken sagt, das digitale Zeitalter sei das Zeitalter der Frauen. Stimmen Sie zu?

Ehrlich-Adám: Wenn wir Frauen ein Kind bekommen, ist es zunächst einmal an uns gebunden. Wir haben da eine wichtige Verantwortung. Durch die Digitalisierung kann man von überall aus arbeiten – das hilft sicher. Als meine Kinder noch kleiner waren, habe ich sehr viel von zu Hause aus gearbeitet und war flexibler. (Lisa Breit, 13.9.2017)