Schwarz und Blau mögen kleidsame Farben sein. Schwarz-Blau dagegen ist neuerdings wieder eine Horrorvision in der SPÖ. Dabei hatte doch vor allem Hans Peter Doskozil seinem Kanzler und Parteichef Ende 2016 die Augen geöffnet und ihm perspektivisch Rot-Blau als Möglichkeit aufgezeigt.

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Es passierte auf dem Höhepunkt des Präsidentschaftswahlkampfs: Kanzlerberater Tal Silberstein war sich (zu Recht) sicher, dass Alexander Van der Bellen in die Hofburg einziehen würde. Die SPÖ lag in Umfragen hinter der FPÖ und vor ihrem Partner ÖVP. Christian Kerns Werte aber waren sensationell. Eine Umfrage des STANDARD sah ihn in der Kanzlerfrage bei 42 Prozent und damit doppelt so stark wie Heinz-Christian Strache.

Berauscht von der eigenen Wirkkraft schickte sich der Kanzler an, den ersten Entwurf seines Wahlprogramms, den "Plan A", aus dem Hut zu zaubern. Im Vorbeigehen versuchten sich seine Strategen am nächsten Zaubertrick: das Verhältnis zu FPÖ-Wählern zu entkrampfen. Das sollte das Eindringen in diese Wählerschicht ermöglichen, die SPÖ bei künftigen Regierungsverhandlungen aber auch aus der Geiselhaft der ÖVP befreien. Die blaue Option, unterstützt durch einen Kriterienkatalog, behutsam aufzubauen war das Gebot der Stunde.

Bei einer Ö1-Debatte geriet das Manöver allerdings zur allzu engen Umarmung des ehemaligen roten Gottseibeiuns. Der Kanzler schwadronierte vom "gemeinsamen Bier" mit Strache und lobte die "amikale" Atmosphäre. Politisch gipfelte der patscherte Annäherungsversuch in der Aussage, dass Kern es "respektiere, dass es Herrn Strache auch nur darum geht, das Land voranzubringen".

Neuneinhalb Monate später wird das Techtelmechtel offenbar für beendet erklärt. Mit dem Mut der Verzweiflung versuchte Kern beim Wahlkampfauftakt das Gespenst einer schwarz-blauen Bundesregierung auferstehen zu lassen. Angesichts mancher das Land bis heute beschäftigenden Erinnerungsstücke an die Jahre 2000-2006 war das bisher kein schlechter Ansatz.

Werner Faymann, dessen Vertraute heute eher dem gar nicht kleinen rot-blauen Lager in der SPÖ zugerechnet werden, stand als Kanzler kaum für Inhalte. Aber seine Anti-FPÖ-Linie hielt er.

2015 schleppte sich ein müder Michael Häupl nach fünf eher ereignislosen Jahren in Richtung Landtagswahlkampf. Die rot-blaue Regierungsbildung im Burgenland ließ erst wenig Hoffnung aufkeimen. Doch Häupl mimte den perfekten Anti-Strache. Und gewann deutlicher als gedacht.

Diese Zuspitzung kriegt Kern kaum mehr hin. Die Geister, die er mit dem Strache-Satz gerufen hat, wird er jetzt schwer los. Wer soll bei jemandem Schutz vor Schwarz-Blau suchen, der lange mit der rot-blauen Option gespielt hat? Häupls Volte brachte potenzielle Grün- und sogar ÖVP- und Neos-Wähler dazu, die SPÖ zu wählen, um Strache zu verhindern. Kerns Ansage, als Zweiter in Opposition zu gehen, schreckt vergleichsweise wenig. Einmal hat die mobilisierende Horrorvision eines Kanzlers Strache an Zugkraft eingebüßt. Die Umfragen führt mit Sebastian Kurz ja einer an, der zwar Ähnliches sagt wie Strache, das aber sozial deutlich verträglicher. Gerade strategisch motivierte Wähler rechnen zudem mit der Option, dass Kern die Entscheidung über einen Gang in die Opposition gar nicht mehr treffen wird. Auch in der SPÖ befinden sich einige Funktionäre eher im Kommentierungs- als im Mobilisierungsmodus. Und gar nicht wenige stellen sich mental schon auf eine Zeit mit Hans Peter Doskozil an der Parteispitze ein.

Der weiterhin Fragen offenlassende Zickzackkurs der SPÖ in Sachen Rot-Blau reiht sich ein in eine Serie an Positionierungsfehlern. Der Start des Kanzlers war toll, gespickt mit geschliffenen Reden. Doch dann startete der SPÖ-Vorsitzende seine Irrfahrt durch die Politiklandschaft. Am Beginn war der Sozialdemokrat Kern selbst für wirtschaftsaffine Schichten ein Held. Die verprellte er mit dem unnötigen Sager von der "Maschinensteuer". Bei Ceta jazzte er die parteiinterne Anti-Stimmung mit Suggestivfragen hoch, wissend, dass er wenig später auf EU-Ebene seinen Sanktus geben werde. Auch die Wahlkampflinie ist nicht schlüssig: Die SPÖ argumentiert, dass der Aufschwung (wegen des Kanzlers) da sei, aber nicht bei den Menschen ankomme. Bleibt die Frage, warum er nicht dafür gesorgt hat.

Bislang fehlte dem fußballbegeisterten Kanzler der Zug zum Tor. Am Tag von Reinhold Mitterlehners Rücktritt (und dessen Abrechnung mit Kurz) bot Kern dem Außenminister blauäugig eine "Reformpartnerschaft" an. Dabei war klar, dass dieser aus Mangel an Alternativen die Neuwahlkarte ziehen musste. Anstatt die Führung an sich zu reißen und der Interpretation vom "schwarzen Knittelfeld" und den "Sprengmeistern" Wolfgang Sobotka und Kurz zum Durchbruch zu verhelfen und so Kurz früh zu einem Wolfgang Schüssel II zu stempeln, ließ sich Kern treiben – und wurde zum Getriebenen. Zum Unvermögen gesellte sich freilich auch Pech, denn mit der Liste Pilz formte sich ein Auffangbecken, gerade für unentschlossene Grün- und SPÖ-Sympathisanten.

Ist die Sache gelaufen? Das nicht. Aber der Kanzler muss auf das Prinzip Hoffnung setzen: darauf, dass die Geschlossenheit vergangener Tage doch noch über seine Partei kommt; darauf, dass Pilz ohne TV-Präsenz doch noch abfällt; darauf, dass die FPÖ einige ihrer an die ÖVP verlorenen Wähler zurückerobert – und darauf, dass Umfragekaiser Kurz in der finalen Phase Fehler macht. (Thomas Hofer, 9.9.2017)