Die konservative Premierministerin Erna Solberg versucht im Wahlkampf mit guten Wirtschaftsdaten zu punkten. Die Sozialdemokraten um Jonas Gahr Støre sind ihr aber dicht auf den Fersen.

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Oslo/Stockholm – Wer wird in den kommenden vier Jahren die Geschicke Norwegens lenken? Kurz vor der Wahl zum Storting am Montag ist diese Frage offen. Die beiden Hauptanwärter auf das Premiersamt – die derzeitige konservative Regierungschefin Erna Solberg und ihr sozialdemokratischer Herausforderer Jonas Gahr Støre – liegen in der Wählergunst mit jeweils rund 25 Prozent gleichauf. Dass potenzielle Partner im bürgerlichen wie im rot-grünen Lager mit der Vier-Prozent-Hürde kämpfen, macht Prognosen zusätzlich schwer.

Klar scheint zumindest eines: Von der Wechselstimmung, die noch bis vor wenigen Monaten herrschte, ist nur noch wenig zu spüren. Eine neue Regierung könnte also ähnlich aussehen wie die alte: ein Minderheitskabinett aus der konservativen Høyre und der einwanderungskritischen, vielfach als rechtspopulistisch bezeichneten Fortschrittspartei, unterstützt von kleineren Partnern – bisher sind dies Liberale und Christdemokraten.

Größter Trumpf der Mannschaft um Erna Solberg ist die Gesundung der Wirtschaft nach dem Einbruch der Ölmärkte Anfang 2014. Mehr als 50.000 Menschen verloren aufgrund der Krise ihren Job – ein dankbares Wahlkampfthema für die Opposition um Jonas Gahr Støre.

Investitionen in Infrastruktur

Vor allem dank umfangreicher Investitionen in die Infrastruktur hat die Konjunktur im vergangenen Jahr nun wieder Fahrt aufgenommen. Stück für Stück haben die Sozialdemokraten daraufhin ihren zunächst soliden Vorsprung eingebüßt. Die Partei, die auf die Sozialistische Linke und die agrarisch geprägte Zentrumspartei als Verbündete setzt und auch um die Gunst der kleinen bürgerlichen Satelliten wirbt, konzentriert sich in ihrer Regierungskritik nun stattdessen auf Abstriche am Wohlfahrtsstaat und die geplante Senkung der Vermögenssteuer.

Mit dem Protest gegen "Steuergeschenke für die Reichsten" kann Jonas Gahr Støre im egalitären Norwegen zwar punkten; die Tatsache, dass er selbst dank großen Privatvermögens zu eben jenen Reichsten zählt, hat ihm allerdings Missgunst eingebracht.

Konservative zuletzt 1924 Nummer eins

Sollte Solbergs Høyre die Sozialdemokraten vom Thron stoßen, wäre dies ein historischer Einschnitt. Letztmals waren die Konservativen 1924 die Nummer eins. Die Regierungschefin selbst warnt vor allzu großer Siegesgewissheit. Unentschlossene Wähler in letzter Minute zu mobilisieren gilt als Spezialdisziplin der Sozialdemokraten. Und unentschlossen sind viele: 900.000 der rund 3,8 Millionen Wahlberechtigten hatten sich eine Woche vor dem Urnengang noch nicht für eine Partei entschieden.

Eine Erklärung dafür dürfte der Mangel an Kontroversen sein: In wesentlichen Fragen herrscht zwischen den großen Parteien Einigkeit. So befürworten Sozialdemokraten und Konservative – und mit ihnen das Gros der Parlamentsparteien – eine restriktive Asyl- und Einwanderungspolitik. Einig ist man sich auch darin, die Öl- und Gasressourcen weiter auszubeuten und die Zusammenarbeit mit der EU im Rahmen des Assoziationsabkommens EWS fortzuführen.

Zwei Parteien im Fokus

Für Scharmützel beim Ringen um Mehrheiten könnten nach der Wahl zwei Parteien sorgen, die aus diesem Harmoniemuster ausscheren: die Zentrumspartei und die Grünen. Letztere wollen die Öl- und Gasgewinnung innerhalb der kommenden 15 Jahre abwickeln. Dies macht sie schwerlich zum Wunschpartner von Solberg oder Støre, kann ihnen aber laut Umfragen rund vier Prozent der Stimmen (2013: 2,8 Prozent) und eventuell die Position des Züngleins an der Waage einbringen.

Und als heimlicher Wahlsieger – wenngleich ebenfalls als komplizierter Partner – gilt schon jetzt die Zentrumspartei, die sich im Landesinneren für regionale Interessen kontra Dezentralisierung einsetzt und nach außen hin Norwegens nationale Interessen stärker vertreten sehen will. Die Partei applaudiert Großbritanniens EU-Austritt und lehnt die bestehende EU-Zusammenarbeit und das Schengenabkommen ab. Damit trifft sie offenbar den Nerv vieler Landsleute. Laut Prognosen kann sie ihr Wahlergebnis mit zwölf Prozent im Vergleich zu 2013 mehr als verdoppeln. (Anne Rentzsch, 11.9.2017)