Will integrierte Flüchtlinge dazu verpflichten, "für die in ihrem Heimatland Zurückgebliebenen etwas zu tun": Renée Schroeder, Mitstreiterin von Peter Pilz seit Jugendtagen und nun Listenachte.

Foto: Regine Hendrich

Wien – Renée Schroeder, bekannte Biochemikerin und aussichtsreiche Kandidatin auf der Liste von Peter Pilz, spricht sich im STANDARD-Interview dafür aus, dass integrierte Flüchtlinge "dazu verpflichtet werden" für die Menschen in ihren Herkunftsländern "etwas zu tun – um auch den Braindrain zu stoppen". Die Wissenschafterin regt an, dass die Menschen konkrete Projekte vor Ort unterstützen sollen, damit es "ihren Landsleuten, Familien dort besser geht".

Was die Religion in den Schulen betrifft, plädiert Schroeder für konfessionsübergreifenden Unterricht. Das Kreuz in den Klassen könne ihretwegen bleiben, aber sie meint auch: "Die Schüler sollten gemeinsam entscheiden, wie sie die Klasse dekorieren. Daher sollte auch die Freiheit für das Zeigen aller religiösen und nichtreligiösen Symbole da sein."

STANDARD: Seit mehr als drei Jahrzehnten ist Peter Pilz der Gottseibeiuns der jeweiligen Regierungsparteien. Sie haben mit ihm einst die Schulbank gedrückt – hat sich das schon als Bub abgezeichnet?

Schroeder: Eindeutig. Er war am Gymnasium in Bruck an der Mur in meiner Parallelklasse – und im Sommer 1968 haben wir schon am Hauptplatz Unterschriften für die Einführung des Zivildiensts gesammelt. Die Verweigerung des Militärdiensts war ja noch mit Gefängnisstrafe bedroht. Ab und zu habe ich mit dem Peter aber auch Chemie gelernt, denn in dem Fach war er nicht sehr gut.

STANDARD: Als vielfach prämierte Biochemikerin sind Sie heute mit 20.000 Euro zweitgrößte Geldgeberin seiner Partei und kandidieren auf Platz acht. Warum ist Ihnen dieses politische Projekt mit ungewissem Ausgang so viel wert?

Schroeder: Als Wissenschafterin ist die Ungewissheit für mich kein Problem, da habe ich ohnehin eine hohe Frustrationsgrenze – und Spenden für einen guten Zweck tu' ich prinzipiell gerne. Begonnen hat mein Eintreten für unsere Liste damit, dass ich mir ein Parlament ohne Peter Pilz gar nicht vorstellen kann. Denn in Österreich haben viel zu viele Menschen Angst, für ihre wahre Meinung einzutreten – und seinen Mut, sich nötigenfalls auch mit Obrigkeiten anzulegen, finde ich enorm wichtig.

STANDARD: Wenn Sie den Einzug ins Parlament schaffen: Werden Sie Wissenschaftssprecherin – oder möchten Sie als prononcierte Feministin Frauenbeauftragte werden?

Schroeder: Im Nationalrat wäre zuallererst Wissenschaft mein Gebiet, aber auch Ethik. Ich mag nicht, wie sich die Parteien im Parlament gegenseitig niedermachen, und halte nichts vom Klubzwang für die Volksvertreter. Denn der ist eine Einladung zum Nixtun – und ich möchte eine breite Debatte über Genomeditierung (neueste molekularbiologische Methode zur DNA-Veränderung, Anm.) starten. Denn diese Technologie erlaubt neue Eingriffe bei Menschen, Tieren, Pflanzen – und ich möchte über Chancen, aber auch Risiken aufklären. Vor Anwendungen außerhalb der Forschung müsste sich daher jeder einzelne Abgeordnete damit beschäftigen, wo er oder sie mitkann – und wo nicht.

STANDARD: Was wäre alles möglich, wenn man diese Technologie ausreizt?

Schroeder: Im äußersten Fall lassen sich mit der Methode Menschen züchten und nicht nur Krankheiten heilen. Eltern könnten sagen: "Ich möchte ein musikalisches Kind – oder eines wie Hermann Maier." Bei dieser Einstellung würde die Bildung enorm an Stellenwert verlieren.

STANDARD: Sie selbst sind in Brasilien geboren – was tun, um die vielen Asylwerber zu integrieren?

Schroeder: Anders als die Regierung sind für mich die Österreicher ein Musterbeispiel für den Umgang mit Asylwerbern. Allein in Wien wohnen 60 Prozent von ihnen privat, ich selbst habe einen zwanzigjährigen Afghanen aufgenommen. Aber machen wir uns nichts vor: In den nächsten 30 Jahren wird es bis zu drei Milliarden potenzielle Flüchtlinge wegen Hunger und Krieg geben – und nur die Stärksten kommen nach Europa durch. Um auch den Braindrain zu stoppen, wäre mein Zugang, dass diejenigen, die hier sind, bestens integriert, aber dazu verpflichtet werden, für die Zurückgebliebenen in ihrem Heimatland etwas zu tun.

STANDARD: Die geflüchteten Menschen sollen also konkrete Projekte vor Ort unterstützen?

Schroeder: Genau, um ihren Landsleuten, Familien zu helfen, damit es ihnen dort besser geht. Es gibt für dieses Problem nicht eine einzige Lösung, da sind unendlich viele Lösungen mit sehr unterschiedlichen Ansätzen notwendig. Von Bildung über Gesundheit bis zur Beseitigung von Umweltschäden und neuen wirtschaftlichen Ideen.

STANDARD: Kardinal Christoph Schönborn haben Sie einmal erklärt: "Der erste Mann, den ich nicht mochte, war Gott!" Sind Sie für strikte säkulare Erziehung aller Kinder in den Schulen – egal, welchen Glaubens?

Schroeder: Wenn die Schüler Religionsunterricht wollen, sollen sie den bekommen. Aber ich bin dafür, dass ihnen dabei Ursprung und Charakteristika aller Religionen nähergebracht werden – und dem wissenschaftlichen Ansatz gegenübergestellt wird.

STANDARD: Sie sind ergo für konfessionsübergreifenden Unterricht?

Schroeder: Ja, das soll zusammen erfolgen, all das kann man in einer Klasse gemeinsam unterrichten.

STANDARD: Soll das Kreuz dennoch bleiben?

Schroeder: Meinetwegen, der Bundespräsident hängt ja auch an der Wand. Verbote sind in dem Fall schlecht. Aber ich finde, die Schüler sollten gemeinsam entscheiden, wie sie die Klasse dekorieren. Daher sollte auch die Freiheit für das Zeigen aller religiösen und nichtreligiösen Symbole da sein. (Nina Weißensteiner, 11.9.2017)