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Proteste gegen Justizminister Jeff Sessions nach Beendigung des Daca genannten Amnestieprogramms für junge illegale Einwanderer. Doch auch sein Chef Donald Trump lässt Sessions im Regen stehen.

Foto: Reuters / Yuri Gripas

Lance Liebman, Ex-Direktor des American Legal Institute, war für die Tagung des EU-Pendants in Wien.

Foto: ALI

Wien – Selbst Veteranen der amerikanischen Politikbeobachtung hinterlassen vielen Entwicklungen in Donald Trumps Weißem Haus ratlos – etwa, dass der Präsident seinen Justizminister Jeff Sessions, den er wochenlang gedemütigt hatte, losschickte, um das Amnestieprogramm für minderjährige illegale Einwanderer zu beenden, nur um kurz darauf per Twitter das Ganze wieder infrage zu stellen.

Für Lance Liebman, den früheren Dekan der Columbia Law School und Direktor des American Law Institute (ALI), bestätigt die jüngste Kehrtwende Trumps, "dass Trump einfach keine kohärente und konsistente Politik verfolgt". Das bedeutet auch, dass die Entwicklung der Rechtspolitik in den USA kaum vorhersehbar sei, sagt Liebman im STANDARD-Gespräch.

Der angesehene Rechtsprofessor, der stolz von sich erzählt, er habe in Harvard einst den heutigen Präsidenten des Supreme Court, John Roberts, und jenen des Europäischen Gerichtshofs, Koen Lenaerts, unterrichtet, nahm in Wien am Jahreskongress des European Law Institute (ELI) teil, das 2011 nach dem Vorbild des ALI gegründet worden war.

Rückstand bei Nominierungen

"Bisher hat sich unter Trump noch nichts Dramatisches getan", sagt Liebman mit Hinweis auf die vielen Hindernisse, die die Regierung bremsen: Gesetze ließen sich trotz republikanischer Mehrheit nur schwer durch den Kongress bringen, und Verordnungen würden oft von Gerichten gestoppt. Dazu käme das fehlende leitende Personal in den Ministerien, weil man bei Nominierungen so sehr im Rückstand sei.

Trump habe zwar mit der Ernennung des Höchstrichters Neil Gorsuch – für seinen einstigen Lehrer Liebman "ein guter Mensch mit furchtbaren religiös motivierten politischen Haltungen" – seinen bisher größten Erfolg erzielt. Aber in den Bundesgerichten sei es kaum zu Neubesetzungen gekommen.

Und die jüngste Liste von Richternominierungen könnte im Senat, wo Trump sich zuletzt mit der republikanischen Führung zerstritten hat, auf viel Widerstand stoßen. Bringt er aber die meisten durch, werde das langfristig die Judikatur der USA nach rechts verschieben.

Demokraten in der Falle

Liebman weist auf ein Dilemma der Demokraten hin: "In den letzten zwei Jahren seiner Präsidentschaft hat Barack Obama sehr viel durch Verordnungen geregelt, weil er keine Gesetze durch den Kongress brachte. Auch wohlwollende Richter sagen, dass er dabei zu weit gegangen ist. Nun sitzen die Demokraten in der Falle: Sie wollen einerseits diese Regeln verteidigen, aber dann Trump das Recht verwehren, seine eigene Verordnungen zu erlassen."

Ein Beispiel, das Liebman anführt: In der Frage von Vergewaltigungsvorwürfen zwischen Studierenden hat die Obama-Regierung Universitäten zu Verfahren gezwungen, die – meist weiblichen – Opfern sehr viele und den Männern kaum Rechte einräumen.

Verweigern sie das, verlieren sie Bundeszuschüsse. Dieses "sehr unfaire System" will Bildungsministerin Betty De Vos nun per Dekret aufheben.

Einreiseverbot hat Chancen

Im Bereich des Arbeitsrechts, Liebmans Spezialgebiet, sieht er vor allem Sammelklagen im Visier der Trump-Regierung. Aber auch hier werde es lange dauern, bis sich das praktisch auswirke. Das heiß umkämpfte Einreiseverbot für sechs mehrheitlich muslimische Staaten habe gute Chancen, in seiner abgemilderten Form vom Höchstgericht bestätigt zu werden – aus rechtlich nachvollziehbaren Gründen, meint Liebman.

Um den amerikanischen Rechtsstaat macht sich der Jurist relativ wenig Sorgen. Die Justizminister in großen Bundesstaaten wie New York und Kalifornien arbeiteten eng zusammen, um Trump zu bremsen, die Gerichte agierten nur selten politisch.

Und am entscheidenden Höchstgericht werde sein Ex-Student Roberts dafür sorgen, "dass man auch in zwei Jahren nicht sagen wird, Trump habe den Supreme Court in der Hand. Roberts ist konservativ, aber unter ihm ist der Gerichtshof weniger politisiert als früher." (Eric Frey, 11.9.2017)