Wien – Der großartige Gemischtopernladen Wiener Staatsoper versorgt in- und ausländische Kulturkonsumenten verlässlich mit Musiktheatralischem aller Art. Die knapp 50-teilige Produktpalette wird variiert; neben beliebten Longsellern ("Tosca", "La Bohème" etc.) sind auch wechselnde Raritäten im Angebot, aktuell etwa Modest Mussorgskis Musikgeschichte "Chowanschtschina".

Aber warum nur? Die Inszenierung von Lev Dodin, die vor drei Jahren Premiere feierte, ist nur eines: Betrug am Kunden. Solisten und Chor sind vier Stunden lang auf einem verkohlten, höhenverstellbaren Bretterverschlag zusammengepfercht. Das ist nicht nur ermüdend, sondern behindert Interaktionen zwischen den Protagonisten massiv, erschwert das Verständnis des Werks und verunmöglicht Stimmungswechsel.

Bleibt die Musik. In "Chowanschtschina" wird gern gelitten, sowohl kollektiv als auch individuell, und bevorzugt in es-Moll. Wenn nicht gelitten wird, wird rivalisiert. Das vokale Ringen der Bässe zwischen Ain Anger (als Dossifei) und Ferruccio Furlanetto (als Fürst Iwan Chowanski) ist so eindrucksvoll wie bei der Premiere: Furlanetto hebt mit seinen ersten, nobel-mächtigen Tönen das Aufmerksamkeitsniveau. Anger, als Anführer der Altgläubigen mit reichlich Charisma gesegnet, übertrumpft Furlanetto in der Demonstration vokaler Potenz leicht, dem Esten gelingen im ersten Aufzug auch wundervoll nuancierte, nachdenkliche Töne. Andrzej Dobber (Schaklowity) agiert in deren Schatten.

Der trompetenhafte Herbert Lippert (Golizyn) und der heldenstarke Christopher Ventris (Andrei Chowanski) fügen hellere Töne hinzu, Elena Maximova (als leidensstarke Marfa), Lydia Rathkolb (als energische Susanna) und Caroline Wenborne (als heroische Emma) höhere. Eine Macht: der Chor. Das von Michael Güttler geleitete Staatsopernorchester ist mehr präziser Koordinator als charismatischer Stimmungszauberer. Ermatteter Jubel für alle. (Stefan Ender, 10.9.2017)