Die Wahl war von der ÖVP vom Zaun gebrochen worden, der Wahlkampf lief gut für den schwarzen Kanzlerkandidaten – und alle Welt fragte sich, was denn wohl mit den Sozialdemokraten los sei, deren Wahlkampf nicht und nicht in die Gänge kommen wollte. Doch am Schluss gab es einen hohen Wahlsieg für die Roten. Nein, das ist kein verfrühter Rückblick auf den aktuellen Wahlkampf – es ist vielmehr die Darstellung der Ereignisse des Jahres 1995. Vizekanzler Wolfgang Schüssel wollte damals unbedingt neu wählen und konnte sich auch lange Zeit guter Umfragewerte erfreuen, während Kanzler Franz Vranitzky und die SPÖ mit eiserner Disziplin stillhielten. Um dann in den letzten Wochen vor der Wahl plötzlich so präsent zu sein, dass Schüssel verlor und alle anderen Parteien Einbußen hatten.

Ein werbetechnischer Kniff dabei: Vranitzky, damals schon neun Jahre im Amt, wurde auf den Plakaten damals nicht als der Politstar, der er war, sondern deutlich kleiner als üblich dargestellt – damit er nur ja nicht überheblich, sondern vielmehr verständnisvoll ("wir haben die Kritik verstanden") rüberkommt.

Umfragen signalisieren Aufholjagd

Eine derartig erfolgreiche Kampagne hätte die SPÖ wohl gern 2017 wiederholt. Und tatsächlich gibt es in Umfragen einige Anzeichen, dass Kanzler Christian Kern seine Partei aus dem Umfragetief führen kann. Mehrere Umfragen signalisieren, dass Kern mit dem ÖVP-Wunderwuzzi Sebastian Kurz in der Publikumsgunst ziemlich gleichauf liegt. Und noch etwas zeigen die Umfragen: Die SPÖ ist mit hochgerechneten 26 Prozent etwa gleich stark, wie sie in der vergangenen Wahl 2013 mit Werner Faymann war. Bonus: Kern ist populärer als sein Vorgänger. Und er kann auf gute Wirtschaftsdaten verweisen, als ob diese seine höchstpersönliche Leistung wären.

Aber das alles hilft halt nur bedingt. Denn anders als 1995 gibt es keine Überraschungseffekte, die die SPÖ nutzen könnte. Eher wird sie selber überrascht – etwa davon, dass das "Profil" aufdeckt, dass in der roten Giftküche unter Beteiligung einer großen Werbeagentur eine Sudelkampagne gegen den ÖVP-Chef konzipiert worden ist. Parteimanager Georg Niedermühlbichler blieb nichts anderes übrig, als lauthals "Haltet den Dieb" zu schreien. Ein "Verbrechen" sei es, so etwas aufzudecken. Die Sudelvideos seien ja nur für den internen Gebrauch gedreht worden.

Interna schaden der SPÖ

Es sind jedoch gerade die Interna, die der SPÖ schaden: Viele trauen ihrer eigenen Partei nicht mehr zu, das Land zu führen. In Salzburg ging der Landeshauptmannsessel 2013 verloren, in der Steiermark wurde er 2015 freiwillig aufgegeben. In Ober- und Niederösterreich ist die Partei in der Fläche kaum noch wahrnehmbar, und Wien ist ein Kapitel für sich: Da feiert die Bobo-Fraktion rot-grüne Party, während sich die traditionellen Wähler in den Arbeiterbezirken von "ihrer" Partei verlassen fühlen – eine Fahrt mit der Straßenbahnlinie 6, die durch diese Bezirke fährt, würde den Funktionären wohl entsprechende Erkenntnisse bringen. Aber die Wiener Funktionäre fahren nicht Straßenbahn.

Sie spekulieren lieber in ihren eigenen Zirkeln in den Innenbezirken, ob irgendjemand, und wenn, wer die SPÖ so gut wie Michael Häupl führen kann. Noch schlimmer: Sie spekulieren, was nach Christian Kern kommen könnte. Solche internen Spekulationen sind für Kerns Wahlkampagne viel gefährlicher als das Umfragehoch des Sebastian Kurz. (Conrad Seidl, 10.9.2017)