Gegen die Westbahn setzt man sich mit allen Mitteln zur Wehr. Dass die Konkurrenz das Marktvolumen insgesamt erhöht hat, gibt ÖBB-Chef Andreas Matthä aber unumwunden zu.

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Seit fast eineinhalb Jahren ist Andreas Matthä oberster Lokführer der Bahn. Obwohl sein Vorgänger Christian Kern Bundeskanzler ist, wird die ÖBB im Wahlkampf kaum thematisiert. Dabei erhält sie drei Milliarden an Subventionen jährlich, oder Zahlungen für konkrete Leistungen, wie Matthä das lieber nennt. Die von der ÖVP geforderte Ausschreibungspflicht für Bahnstrecken lehnt der Konzernchef ab, weil letztlich der Verkehr ausgedünnt werde und Preise steigen. Investiert wird stark in eMobility. Der Fahrgast soll rundherum betreut werden: von der Bahn über das fahrerlose Auto bis hin zum Fahrrad.

STANDARD: Es ist überraschend ruhig um die Bahn. Viele haben erwartet, dass Christian Kerns frühere Tätigkeit und damit die ÖBB ein Thema im Wahlkampf werden.

Matthä: Dass eine sachliche Diskussion über die ÖBB und das Bahnsystem geführt wird, ist ein gutes Zeichen. Mir ist es wichtig, dass wir in keine Wahlkampfdiskussion hineingezogen werden.

STANDARD: Ob die auf drei Milliarden Euro gestiegenen Subventionen notwendig sind, wäre aber politisch schon interessant.

Matthä: Interessant, dass Sie von Subvention sprechen. Es sind drei Milliarden an Zahlungen des Bundes. Wir haben Leistungsbestellungen von Bund und Ländern im Umfang von 800 Millionen, damit die Tickets entsprechend tief sind oder wir bis Mitternacht fahren. Das ist keine Subvention. Der zweite große Brocken ist die Infrastruktur, und die kommt allen Betreibern zugute.

So entwickeln sich die Ausgaben und Zuschüsse für den Ausbau des Schienennetzes.

STANDARD: Der Punkt ist die Dynamik von 1,8 auf drei Milliarden seit 2009. Da wirkt es seltsam, wenn die ÖBB von Gewinnen spricht.

Matthä: Ich würde vorschlagen, erst machen wir Äpfel, dann machen wir Birnen. Die Steigerung kommt aus der Finanzierung der Infrastrukturinvestitionen durch den Bund. Im Personenverkehr gibt es eine Entwicklung ähnlich dem Verbraucherpreisindex, außer die Verkehrsverbünde beschaffen neue Züge. Die sind teurer als alte Fahrzeuge.

STANDARD: Noch einmal: Allein schon der Anstieg der Zuschüsse an die ÖBB ist größer als der letzte Vorsteuergewinn im Jahr 2016 von 166 Millionen.

Matthä: Das ist eher ein Darstellungsthema, das letzten Endes eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit ist.

STANDARD: Wie verlaufen die Schulden der Infrastruktur konkret?

Matthä: Sie liegen bei mehr als 20 Milliarden Euro und steigen bis 2026 auf etwa 30 Milliarden Euro. Ab dann sinkt die Verschuldung.

STANDARD: Das hängt aber auch davon ab, ob Semmering, Brenner und Co entsprechend ausgelastet sein werden.

Matthä: Jaja. Wir sind schon ein paar Mal danebengelegen, weil wir die Verkehrsentwicklung – beispielsweise bei der Errichtung der Westbahn – deutlich unterschätzt haben.

STANDARD: Vielleicht eine Folge des Westbahn-Markteintritts?

Matthä: Die Auseinandersetzung der beiden Unternehmen hat letztlich schon dazu geführt, dass das Marktvolumen in Summe gestiegen ist. Auch wir haben die Fahrgastzahlen um ein Fünftel gesteigert. Aber natürlich spielt auch die schnellere Verbindung eine Rolle. Zwei Stunden und 22 Minuten Wien- Salzburg ist unschlagbar.

STANDARD: Wie entwickelt sich der Güterverkehr?

Matthä: Die Mengen gehen deutlich nach oben, die Margen sind fürchterlich. Da müssen wir etwas tun, uns entscheiden, welche Verkehre wir fahren. Alle Bahnen haben dieses Thema.

Die Gewinnentwicklung der ÖBB ist mit Vorsicht zu genießen, steigen doch die Zuschüsse von Bund und Ländern jährlich deutlich.

STANDARD: Wie wäre es mit einer Partnerschaft oder Fusion?

Matthä: Da ist die Frage, mit wem?

STANDARD: Mit Wettbewerbern.

Matthä: Das sind in erster Linie die Lkws, bei denen wir mit Billigkonkurrenz zu kämpfen haben. Gesellschaftsrechtliche Verschränkungen sehe ich nicht. Vielmehr wollen wir unsere Position mit dem Aufbau oder Kauf von Unternehmen stärken. Wir sind mittlerweile Nummer zwei in Europa hinter der Deutschen Bahn, nachdem wir im Vorjahr die Polen überrundet haben. Die langen Strecken von der Türkei bis zu den Nordseehäfen machen sich durchaus bezahlt. Zudem begleiten wir dadurch unsere österreichischen Kunden im Export.

STANDARD: Wo genau expandieren Sie?

Matthä: Im Türkei-Verkehr sind wir schon Marktführer. Ab Herbst wollen wir einmal in der Woche die Strecke über Mersin in der Südtürkei weiter in den Iran bis Teheran aufnehmen.

STANDARD: Ebenfalls politisch brisant ist die Direktvergabe von Strecken, gegen die sich Ihre Konkurrenten sträuben. Würde mehr Wettbewerb nicht die Effizienz steigern?

Matthä: Österreich hat sich für einen integrierten Taktfahrplan entschieden. Darauf ist die Infrastruktur ausgerichtet. Es wäre ja verrückt, nur zu investieren, ohne einen Plan zu haben, was auf den Strecken gefahren wird. Daher bin ich für eine dirigistische Vorgabe, was gefahren wird – ich sage bewusst nicht: wer dort fährt. Es gibt ja in Österreich elf Eisenbahnunternehmen mit Direktbeauftragung. Wenn jeder fährt, wie er möchte, dann gibt es Kapazitätsengpässe, die neue Investitionen erforderlich machen. Nehmen Sie die Wiener S-Bahn-Stammstrecke, da fährt die Westbahn bis zum Praterstern. Dort geht es dann sehr knapp her. Letzten Endes fährt ein Fernverkehrszug auf einer hochfrequentierten Pendlerbahn. Meine Befürchtung ist, dass die Qualität leiden wird.

STANDARD: Die Einhaltung des Taktfahrplans kann man ja als Kriterium vorgegeben.

Matthä: Solche Ausschreibungen führen aber zu einer anderen Entwicklung. Zum Schluss wird der Bahnverkehr ausgedünnt, und die Preise steigen.

STANDARD: Heiß umfehdet ist derzeit auch eine andere Ausschreibung im Zusammenhang mit der ÖBB. Sie kaufen 21 Reisezüge, Siemens und Bombardier liefern sich ein heftiges Gefecht. Es geht auch darum, ob Steuergeld in österreichische Wertschöpfung fließt.

Mit der Ausschreibung von 21 Zügen will die ÖBB vor allem im Italien-Verkehr aufrüsten.
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Matthä: Ob die Wertschöpfung in Österreich erfolgt oder nicht, ist nach europäischem Recht kein Kriterium. Für uns ist aber eine zentrale Frage, woher die Komponenten kommen und was das für die Instandhaltung bedeutet. Das wirkt sich bei langer Nutzungsdauer stark aus.

STANDARD: Haben Sie da ein weinendes Auge, wenn Steuergeld in chinesische Wertschöpfung fließt?

Matthä: Man könnte darüber philosophieren, warum Aufträge, die letztlich mit Steuergeld finanziert werden, nicht mit einem Goodie für die heimische Wertschöpfung verbunden sein dürfen. Das hätte für mich eine Logik. Wenn wir uns für chinesische Züge entscheiden, wäre es naheliegend, gleich in China nachzufragen und nicht über die Hintertür chinesische Fahrzeuge zu kaufen.

STANDARD: Die ÖBB setzt stark auf integriertes Verkehrsangebot. Wohin geht die Reise?

Matthä: Eines unserer Ziele ist, die ganze Mobilitätskette für den Fahrgast sicherzustellen. Das ist einmal DriveNow oder Car2go oder ein Fahrrad oder ein selbstfahrendes Fahrzeug. Fahrräder kann man in Wien mit unserer App wegfinder.at buchen, bald hoffentlich E-Mopeds und andere Angebote.

STANDARD: Wird das fahrerlose Auto die Bahn beeinträchtigen?

Matthä: Ich erstarre nicht vor Angst vor den selbstfahrenden Autos. Technisch wird das funktionieren. Es wird auch unserer Geschäft beeinflussen, die Frage ist nur, wie? Selbstfahrende Autos werden mit ihrer gleichmäßigen Geschwindigkeit die Kapazität auf der Autobahn erhöhen. Aber irgendwann ist auch diese Kapazität erschöpft. Auch ein selbstfahrendes Auto steht im Stau.

STANDARD: Was bedeutet das für Ihre digitalen Neuerungen?

Matthä: Wir haben in den vergangenen zehn Jahren massiv in digitale Mobilität investiert. Wir haben eine einheitliche Oberfläche für acht verschiedene Vertriebskanäle, von App über Web bis zum Automaten. Wir haben alle sieben Verbünde integriert, inklusive internationaler Aktivitäten. Da haben wir in den letzten zehn Jahren 130 Millionen hineininvestiert. Heute sind wir europaweit Vorreiter.

STANDARD: Eine Geschäftserweiterung der ÖBB war der Fernbus Hellö, das ging ziemlich in die Hosen.

Hellö ist längst abgefahren – und zwar in den Bahnhof von Flixbus.
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Matthä: Wir wollten den Mitbewerbern das Feld nicht kampflos überlassen. Als Hellö startete, hat sich der Markt gerade stark konsolidiert. Für uns war dann die Frage: Investieren wir in richtig großem Stil, oder gehen wir hinaus, bevor wir viel Geld versenken.

STANDARD: Zig Millionen haben Sie so aber auch versenkt.

Matthä: Nein. Wir sind einigermaßen schadlos rausgekommen.

STANDARD: Das erweckt den Eindruck, dass sie den damaligen Verantwortlichen Christian Kern aus der Schusslinie nehmen wollen.

Matthä: Nein, ich sage klar, Hellö war eine richtige Entscheidung, vielleicht kam sie ein bisschen zu spät. Doch einen Preiskampf gegen einen Monopolisten zu führen, das wollten wir nicht. (Andreas Schnauder, 11.9.2017)