Frühes Embryonalstadium (Gastrula) der Seeanemone Nematostella vectensis. Während der Gastrulation werden bei allen Tieren zwei (bei der Seeanemone sowie anderen ganz alten tierischen Linien) oder drei Keimblätter (fast alle Tierarten und der Mensch) durch Einstülpungs- oder Einwanderungsprozesse angelegt.

Foto: Sabrina Kaul-Strehlow/Patrick Steinmetz

Wien – Das Gewebe des Körpers von Menschen und Tieren entwickelt sich aus drei "Keimblättern", die sehr früh in der Embryonalentwicklung durch Einstülpungsprozesse angelegt werden. Gemäß der "Keimblatttheorie" entstehen Haut und Nervensystem aus dem außenliegenden Ektoderm, der Darm und die inneren Organe aus dem innen liegenden Entoderm und Muskulatur sowie Keimdrüsen aus dem mittleren Keimblatt, dem Mesoderm.

Bei sehr simplen Lebewesen wie Blumentieren sind dafür nur zwei Keimblätter nötig – dachte man bisher. Denn einige sehr alte Tiergruppen wie die Nesseltiere (Cnidaria wie beispielsweise Korallen, Seeanemonen und Quallen) bestehen nur aus zwei Zellschichten. Nun aber berichten Wiener Forscher im Fachblatt "Nature Ecology and Evolution", dass auch ihre Entwicklungsprogramme schon auf drei Keimblätter verteilt sind.

Die Forscher um Ulrich Technau vom Department für Molekulare Evolution und Entwicklung der Universität Wien und Patrick Steinmetz, seit kurzem Gruppenleiter an der norwegischen Universität Bergen, entdeckten bei der Seeanemone Nematostella vectensis, dass dort schon die Genexpressions-Programme für alle drei Keimblätter angelegt und räumlich getrennt aktiv sind. Offensichtlich gab es also schon bei einem gemeinsamen Vorfahren von Blumentieren und höheren Tieren drei unterschiedliche Entwicklungseinheiten, so Technau.

Entwicklung der Aufgabenteilung

Bisher nahm man an, dass das mittlere Keimblatt (Mesoderm) eine Neuerfindung in der Evolution höherer Tiere war. Bei Blumentieren, der mit mehr als 7.000 Arten größten Klasse der Nesseltiere, hatte man zuvor nur zwei Keimblätter entdeckt, die als Ekto- und Entoderm identifiziert wurden. Teilweise sprach man ihrem Entoderm auch mesodermale Eigenschaften zu und nannte es daher Mesentoderm.

"Das Entoderm der höheren Tiere ist laut unseren Resultaten nicht evolutionär mit der inneren Zellschicht der Seeanemone verwandt, sondern vermutlich aus dem Schlund-Ektoderm hervorgegangen", sagte Technau. Das Schlund-Ektoderm ist eine Einstülpung der äußeren Zellschicht (Ektoderm) im Mundbereich entlang der inneren Zellschicht (Entoderm). Das Entoderm der Seeanemonen weist wiederum viel mehr Ähnlichkeiten mit dem Mesoderm von höheren Tieren auf als mit deren Entoderm, so die Forscher.

Offenbar wurden in der Evolution von einfachen zu komplexer gebauten Tieren also die Aufgaben teilweise neu zugeteilt und deutlicher getrennt. Dadurch wurde das Mesoderm irgendwann als "neues" Keimblatt erkennbar, obwohl es im Verborgenen schon länger existierte. (APA, red, 17.9.2017)