Wien – Den Blinkerhebel, den muss in seinem Fahrzeug niemand suchen. Es liegt folglich nicht daran, dass er so gut versteckt wäre, dass so selten geblinkt wird. "Geht ja keinen was an, wo ich hinfahre."

Der Ford Escort aus den 1990er-Jahren hatte am Lenkrad einen großen, runden Knopf. Und wenn der funktionierte und man den Knopf drückte, dann hupte der Escort. Sein aktueller Nachfolger, der Focus, hat neben der Hupe noch 16 weitere Schalter, der Mondeo bringt es gar auf 20. Da muss man schon üben, bis man ohne hinzuschauen den richtigen derglengt, wenn man ihn braucht.

Allein das Lenkrad des Ford Edge hat mehr Knöpfe als ein handelsüblicher Zweireiher. Es braucht seine Zeit, bis man die so automatisch bedienen kann, dass man dabei nicht mehr vom Verkehr abgelenkt ist.
Foto: Guido Gluschitsch

Die Spitze der Ablenkung schaffen aber die Touchscreens, die als Schnittstelle für die Kommunikation zwischen Fahrer und Infotainmentsystem dienen. Sie bieten keine oder kaum eine haptische Rückmeldung und sind geradezu überladen mit Informationen und Auswahlmöglichkeiten.

Während man sich bei einigen Fahrzeugherstellern noch mit herkömmlichen Bedienknöpfen oder den Schaltern am Lenkrad helfen kann, wenn man den Radiosender wechseln möchte, wird das Eingeben einer Adresse ins Navigationssystem zu einer Ablenkung, die uns minutenlang die Aufmerksamkeit raubt, während sich die meisten trotzdem durch den Verkehr schlängeln statt stehenzubleiben.

Sprachsteuerung

Autohersteller versuchen mit mehreren Ansätzen, das Problem der Ablenkung zu lösen. Die einen probieren es mit einer Sprachsteuerung, für die man aber im besten Fall einige Befehle auswendig lernen sollte.

Andere Hersteller versuchen die wichtigsten Daten wie aktuelle Geschwindigkeit, Navigationsangaben oder Tempolimits direkt in der Windschutzscheibe einzublenden, damit man nicht ständig den Blick senken muss.

Kombinationsmöglichkeiten

Vorwiegend Premiumhersteller versuchen mehrere Eingabesysteme zu kombinieren, sodass man je nach Situation einmal direkt auf dem Bildschirm, das andere Mal über ein Dreh-Drück-Rad in der Mittelkonsole oder über eine Sprachsteuerung durch die Infotainmentwelt des eigenen Autos rudert. Ach ja, apropos: Gestensteuerung wird auch schon angeboten, die ist aber nichts für Menschen, die im Auto reden und dabei mit den Händen fuchteln – egal ob die nun am Fahrer- oder Beifahrersitz sitzen.

Während die einen davon ausgehen, dass sich das Problem der Ablenkung mit zunehmendem Automatisierungsgrad der Fahrzeuge ohnedies von selbst erledigt, warnen Psychologen wie Bernhard Schlag, Verkehrspsychologe an der Technischen Universität Dresden, davor.

Psychologischer Hintergrund

In Psychologie heute vom Juli 2017 erklärt er, dass unsere Aufmerksamkeit immer weiter sinkt, je mehr Aufgaben das Auto selbst übernimmt. Das gehe so weit, dass es in Versuchen von schwedischen Wissenschaftern bis zu 15 Sekunden lang dauerte, bis Lenker ihr teilautonom fahrendes Fahrzeug wieder, der aktuellen Verkehrssituation entsprechend, übernehmen konnten.

Je komplexer und besser die Systeme werden, und je seltener sie unseren aktiven Eingriff brauchen, desto stärker werden wir uns etwa vom Smartphone ablenken lassen und umso länger brauchen, um eine Situation richtig einschätzen zu können.

Beim teilautonomen Fahren hat der Mensch die Aufgabe des passiven Überwachungsorgans, "und wir wissen", sagt Schlag, "das kann er überhaupt nicht gut". Er lässt sich allzu gern ablenken, und umso intensiver, je schöner die Nebentätigkeit ist. Und die wird nicht das Blinken sein. (Guido Gluschitsch, 21.9.2017)