Maria Happel als Mutter und Lisa Habermann als Tochter.

Foto: Barbara Pálffy/Volksoper

Wien – "Gott ist wie ich", stellt Mutter Rose im ersten Teil des Musicals klar, und wer die Frau bis dahin hat schalten und walten sehen, der weiß: Das Original ist zweifelsohne sie und der sogenannte Allgewaltige bestenfalls eine luschenhafte Kopie von ihr. Rose hat ihren zwei Töchtern erst deren Leben und danach noch ein Bühnenleben geschenkt, die Schöpfergöttin wusste dabei widrigste Umstände zu überwinden. Die talentierte jüngere Tochter, Baby June, flieht zwar irgendwann aus dem Einflussbereich der Übermutter, die Ältere wird jedoch wider Erwarten zum großen Burlesque-Star, fällt aber vom Glauben an die Domina ab.

Basierend auf Memoiren

Die Wiener Volksoper wiederum glaubt seit Jahren fest an das Musical und erweckt als Dienst an dieser Gattung gern Broadway-Klassiker zu neuem Leben. Nun durfte Jule Stynes Gypsy solch eine Wiedergeburt auf österreichischem Boden erfahren. Das Musical basiert auf den Memoiren der Burlesque-Tänzerin Gypsy Rose Lee, wurde 1959 in New York uraufgeführt und 1993 mit Bette Midler verfilmt. Von der Volksoper wurde Maria Happel als Zugpferdchen für die Neuinszenierung engagiert.

Im textlastigen, gut dreistündigen Stück tut die 54-Jährige, was sie am besten kann: pausenlos schnattern und energisch herumfegen. Happels Rose ist trümmerfrauenrobust und hat Courage, aber über weite Strecken ist sie eine (zu) nette Person, mehr Glucke als Eislaufmutter. Ihre Rage ist verwechselbar, bei Anwürfen à la "Wie können Sie es wagen?" sehnt man sich kurz nach dem herrischen, schneidenden Eiseston einer Vilma Degischer oder einer Adrienne Gessner. Happel singt scharfstimmig und mit einem Vibrato, das sie weit schwingt wie ein Lasso; einen langen Atem hat sie nicht, nicht mal einen mittleren.

Abseits der Burgschauspielerin setzt Routinier Werner Sobotka die Figuren zumeist als seelenbefreite Schablonen in Szene. So bleibt man von Louises (Lisa Habermann) Verwandlung von der tollpatschigen Tochter zum verführerischen Entkleidungsstar ungerührt, weil ein Klischeebild auf ein anderes folgt. Wolfgang Hübsch entzieht sich als Roses knausriger Vater als einer der wenigen der völligen Entmenschlichung. Harmlos-lieb Toni Slama als Roses Möchtegerngatte Herbie.

Kofferartige Bauten

Das Produktionsbudget für die spärlichen Bühnenbauten scheint nicht viel größer gewesen zu sein als jenes von Mutter Rose in den ersten Jahren des Tingelns; Stephan Prattes hat es vor allem in kofferartige Bauten umgesetzt, die Michael Grundner stimmungsvoll zu beleuchten weiß. Elisabeth Gressel kann sich vor allem bei den Kostümen der beeindruckenden Burlesque-Größen Miss Electra, Miss Mazeppa und Tessie Tura (toll: Christian Graf) austoben. Was in dieser altmodisch-vorhersehbaren Produktion abgesehen vom Gesang am hellsten funkelt, sind die Choreografien von Danny Costello. Sei es bei den Tanznummern der Kinder oder der Erwachsenen: Da reißen die präzisen, schwungvollen Bewegungen mit, da suchen die strahlenden Gesichter der Tänzer den Kontakt mit dem Publikum, da blitzt Broadway-Niveau auf.

Etwas behäbiger, schwergewichtig, mitunter fast gmiatlich und ordentlich retro geht es im Orchestergraben unter der Leitung von Lorenz C. Aichner zu. Das dominante Blech schiebt Extraschichten, die Trompeten quäken, die Klarinetten lamentieren und die Geigen säuseln. Es ist eine beeindruckende akustische Show, die da im Orchestergraben der Wiener Volksoper geboten wird, für österreichische Musicalverhältnisse: große Oper. (Stefan Ender, 11.9.2017)