Die deutsche Kanzlerin und CDU-Spitzenkandidatin Angela Merkel stellte sich in der ARD-"Wahlarena" den Fragen eines großteils jungen Publikums.

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Berlin/Lübeck – Knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl in Deutschland hat Bundeskanzlerin und CDU-Spitzenkandidatin Angela Merkel sich in der ARD-"Wahlarena" Fragen des Publikums gestellt und dabei um den Zusammenhalt im Land geworben – von Deutschen und Migranten, Alten und Jungen sowie Starken und Schwachen.

Das Publikum bestand aus etwa 150 Wahlberechtigten, die laut ARD "einem Querschnitt der Bevölkerung" entsprechen. Zunächst kam ein 18-jähriger Erstwähler zu Wort, der auf die Differenzen zwischen CSU und CDU einging. Er könne die CDU nicht wählen, weil er in Bayern wohne, lehne die von der CSU geforderte Obergrenze von 200.000 neu ankommenden Flüchtlingen pro Jahr aber ab. Merkel weist darauf hin, dass es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen den Unionsparteien gebe. Sie rät ihm, die CSU zu wählen, "wenn Sie möchten, dass ich weiter Bundeskanzlerin bleibe".

Ob es dann ähnlich wie beim Thema Maut ablaufen könnte – Merkel habe sich vor vier Jahren schließlich dagegen ausgesprochen, und dann kam die Maut doch, hakt der junge Mann nach. Merkel garantiert, dass sie im Fall eines Wahlsiegs der Union die Obergrenze nicht zementieren werde. "Ich möchte sie nicht. Ich halte sie auch nicht für praktikabel. Garantiert."

Die Fragen in der ARD-"Wahlarena" drehten sich um Flüchtlinge, Pensionen, Pflege und Alltagsrassismus.
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Einem Fragesteller, der seine Angst vor "Überfremdung" äußert, versucht Merkel zu versichern, dass sich ein Jahr wie 2015, als rund eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kamen, nicht wiederholen werde. Sie wirbt zugleich um Mitgefühl: "Haben Sie ein offenes Herz für Menschen, denen es viel schlechter geht." Vor zwei Jahren habe sich für Deutschland, das so sehr von der Globalisierung profitiere, deren Kehrseite gezeigt – so wüssten nun eben auch von einem Diktator verfolgte Menschen in Syrien, dass es ihnen in Deutschland besser gehe.

Allgemeine Antwort auf Alltagsrassismus

Ein Sohn iranischer Eltern, der in Deutschland geboren wurde und nun studiert, äußert seine Sorge vor Ausländerfeindlichkeit und einem Rechtsruck. Er sei täglichem Rassismus ausgesetzt, der von der AfD salonfähig gemacht werde, und will wissen, was Merkel dagegen tun wird, dass "dieser Hass noch mehr wächst". "Lassen Sie sich ihren Schneid nicht abkaufen und halten Sie dagegen", entgegnet Merkel eher allgemein. "Es ist die Zeit, wo wieder Mut gefragt ist."

Angesichts der massiven Spannungen im deutsch-türkischen Verhältnis wirbt Merkel für den Zusammenhalt mit türkischstämmigen Bürgern. Ihnen müsse gesagt werden: "Ihr seid hier zu Hause. Wir schätzen euch." Es sei aber immer noch so, dass Menschen mit einem türkischen Namen in Deutschland etwa auf dem Arbeitsmarkt Nachteile hätten. Viele türkischstämmige Deutsche hätten vielleicht das Gefühl, "wenn es hart auf hart kommt, sind wir doch nicht Teil der deutschen Gesellschaft". Gleichzeitig müsse aber allen klar sein: "Wir wollen nicht, dass ihr eure Konflikte hier austragt."

Bei Türkei "mehr Flagge zeigen"

Die Türkei habe sich weit von dem wegentwickelt, was sie selbst unter einem Rechtsstaat verstehe, betont Merkel. Hier gehe es um den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und die herrschende Partei AKP. Deutschland müsse da "mehr Flagge zeigen". Dabei gehe es auch um die Überprüfung, ob die EU-Beitrittsverhandlungen gestoppt werden sollen. Deutschland dürfe aber die Hoffnung der Menschen nicht kaputtmachen, die in der Türkei gegen die jetzige Entwicklung seien.

Eine junge Frau mit Downsyndrom will von Merkel wissen, wieso man Babys mit Downsyndrom noch bis kurz vor der Geburt abtreiben dürfe. "Ich will nicht abgetrieben werden, sondern auf der Welt bleiben", sagt sie unter lautem Applaus des Publikums. Merkel spricht daraufhin davon, dass sie mit der CDU zumindest durchgesetzt habe, dass nun vor solchen Abbrüchen die Eltern wenigstens drei Tage darüber nachdenken müssen. Was sie in Zukunft konkret tun möchte, sagt Merkel aber nicht. Die junge Frau bezeichnet sich dennoch als "extremen Fan" von Merkel.

Streitthema Pflege

Ein junger Mann, der eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger macht, kritisiert das CDU-Wahlprogramm und beklagt die Zustände auf seiner Pflegestation. Er will wissen, warum Merkel in zwölf Jahren als Kanzlerin nichts zur Verbesserung unternommen habe. "Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass zum Schluss alles zu bester Zufriedenheit ist, aber es wird mehr Standard da reinkommen", erwidert Merkel. "Ich hoffe, dass es in zwei Jahren besser ist."

Angela Merkel antwortet auf Fragen zum Thema Pflege.
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Wie das in zwei Jahren gelingen soll, wenn die Menschen "ja nicht vom Himmel fallen", hakt der junge Mann nach. Zur Überwindung des Fachkräftemangels in der Pflege will sich Merkel für Verbesserungen des Berufes und seiner Bezahlung einsetzen sowie auf Pfleger aus dem EU-Ausland zurückgreifen. Das Berufsbild solle attraktiver werden, dafür müssten auch die Tarifpartner in ihren Verhandlungen sorgen. Notfalls müssten Pflegekräfte aus europäischen Ländern helfen.

Anhebung des Pensionsantrittsalters

Merkel bekräftigt zudem, dass die Union das gesetzliche Pensionsantrittsalter von 67 Jahren nicht erhöhen wolle, aber über die Säulen des Pensionssystems wie die private Altersversorgung und die betriebliche Altersversorgung gesprochen werden müsse. Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte sich zuvor in der "Rheinischen Post" dafür ausgesprochen, eine Anhebung der Altersgrenze für die Zukunft nicht auszuschließen.

Die Kanzlerin wird auch noch einmal gefragt, warum sie im Bundestag bei der Abstimmung über die "Ehe für alle" mit Nein gestimmt hat. Sie habe zwar beim Thema Adoption ihre Meinung geändert, die Ehe sei für sie aber eine "Verbindung von Mann und Frau", erwidert Merkel. Vielleicht sei sie mit ihrer Ansicht in der Minderheit, vielleicht "ist es auch ein bisschen eine Altersfrage". Am nächsten Montag tritt SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz in der ARD-"Wahlarena" auf. (maa, 12.9.2017)