Sie kamen, um sich zu nehmen: Jennifer Lawrence leidet in "Mother!" an den Jüngern des Messias.

Foto: Paramount Pictures

Wien – "I wanna make a paradise." Doch dieses Paradies ganz nach ihren Vorstellungen zu erschaffen, kostet die junge Frau viel Anstrengung und mehr als sechs Tage. Jeden einzelnen widmet sie der Renovierung des abgebrannten Hauses, in dem sie und ihr Mann zurückgezogen von der Außenwelt leben. Falls es eine solche gibt, wäre sie hier nicht willkommen. Und falls es noch andere Menschen gibt, so dürften sie den Frieden nicht stören. Die Ruhe geht an diesem Ort mit der Zweisamkeit einher – und mit der Hoffnung auf ein Leben nach der Apokalypse. Denn auf diese hat man gleich zu Beginn von mother! geblickt, in das Gesicht der Frau in einer höllischen Großaufnahme: mit blutenden Wunden, umhüllt von Flammen – und bedeckt von Tränen.

Deutschsprachiger Trailer.
KinoCheck

In fünf Tagen habe er das Buch zu diesem Film geschrieben, so Darren Aronofsky, und war damit schneller als Gott mit seiner Welt. Wie in einem Fiebertraum, allein in einem leeren Haus. In mother! springen einem die alttestamentarischen Motive jedenfalls mit solcher Wucht in die Augen, dass man sich nicht mehr vor ihnen verschließen kann und will: Mutter (Jennifer Lawrence) und Er (Javier Bardem) bilden das namenlose Paar, das den Garten Eden errichtet hat. Doch die Wände des im viktorianischen Stil erbauten Hauses wirken mürbe, die Böden sind aus schwerem Holz, in dem die Astlöcher wie offene Wunden scheinen. In den Mauern pocht ein Herz. Und der Mann, der an einem Buch schreibt, womöglich die Geschichte der Welt, kommt mit seiner Arbeit nicht voran. Vielleicht braucht er bloß einen weiteren Tag. Einen letzten.

Auf kaum merkbare Verstörungen lässt Aronofsky bald erste Schockeffekte folgen, doch nur, um diese gleich wieder zu reduzieren, gerade so, als sei den Anforderungen eines Horrorthrillers somit bereits entsprochen. Aronofsky wird diese Erwartungen an das Genrekino auch in der Folge nicht erfüllen, genauso wenig wie in seinem dunklen Ballettstück Black Swan oder zuletzt in Noah, dieser biblischen Fantasie über den glaubenstreuen Schiffsbauer.

Öffnet die Tore

Ein anderer Mann tritt auf, klopft an die Tür. Auch er hat keinen Namen, Ed Harris spielt diesen Adam als selbstsicheren Eindringling. Die Frau, als die Michelle Pfeiffer ihm wenig später folgt, gibt sich als elegante Verführerin, eine Eva, die Mutter erklärt, was es bedeutet, Kinder auf die Welt gebracht zu haben. Alles. Die Söhne, die wiederum den Eltern folgen, schließen den ersten Kreislauf und das erste Kapitel dieses Films mit einer Bluttat. Der ersten der Menschheitsgeschichte.

Englischer Trailer.
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Bei den Filmfestspielen von Venedig, bei denen mother! vergangene Woche seine Uraufführung erlebte, spaltete der Film wie kein anderer Publikum und Kritik. Denn Aronofsky verliert in mother! Gesicht und Körper der werdenden Mutter nicht mehr aus den Augen. Und damit auch nicht jenes Martyrium, das sie durchleidet, als Er die Tore öffnet und immer mehr seiner Jünger in das Haus strömen. Besitz ergreifen von allem und allen. Vermehret euch.

Aronofsky schleudert eine wilde Halluzination über das Ende der Welt auf die Leinwand und malt ihren gegenwärtigen Zustand angesichts nahender globaler Katastrophen als Jüngstes Gericht aus: Überbevölkerung, ökologische Zerstörung, Gewalt und Kampf um die letzten Ressourcen, die das Paradies Erde noch zu bieten hat, jede Zukunftsangst verwandelt Aronofsky in einen exzesshaften und nicht weniger exzentrischen Rausch. mother! ist eine Reise ins Harmagedon, der man als Zuschauer nicht blind, aber mit offenen Augen folgen muss, will man bei diesem radikalen Film nicht auf halber Strecke zurückbleiben.

Es wurde Abend, und es wurde Morgen. (Michael Pekler, 13.9.2017)