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Moskau und Minsk lassen bei einer Großübung – wie hier im Jahr 2013 – an der Westgrenze regelmäßig die militärischen Muskeln spielen. Am Donnerstag beginnt "Sapad 2017".

Foto: Reuters / Alexei Druzhinin

Das Szenario des Militärmanövers "Sapad 2017" lautet wie folgt: "Nach Weißrussland und Kaliningrad sind extremistische Gruppen eingedrungen, um Terroranschläge auszuführen. Die illegalen Banden haben Unterstützung von außen – Bewaffnung und Militärfahrzeuge aus der Luft und von See. Zur Neutralisierung des Gegners, der Unterbindung seines Rückzugs und der Blockade der Luftwege werden Heereskräfte mit Unterstützung der Luftwaffe, Luftabwehr und Flotte im Operationsgebiet eingesetzt."

Von 14. bis 20. September wird die akribisch geplante und großangelegte Truppenübung Sapad 2017 laufen (Sapad heißt auf Russisch "Westen"). Laut Konzept in zwei Etappen: Zunächst wird der Feind großräumig isoliert, und dann üben die russischen und weißrussischen Verbände das Zusammenwirken der verschiedenen Teilstreitkräfte "bei der Abwehr einer Aggression gegen den Unionsstaat". Offiziellen Angaben nach sind 12.700 Soldaten, 70 Flugzeuge, zehn Marineschiffe und 680 Militärfahrzeuge, darunter rund 250 Panzer, beteiligt. Der Großteil davon befindet sich in Weißrussland, aber trainiert wird von der finnischen Grenze bis hin zur Ukraine.

Die Feindstaaten haben Fantasienamen wie Wesbarija und Lubenija. Auf Übungskarten sind sie aber klar verortet und nehmen Litauen und Teile Polens und Lettlands ein. Der dritte "Feind" Vaisnorija im Westen Weißrusslands hat politische Wurzeln: 1994, bei der letzten Wahl in Weißrussland mit echter Konkurrenz, gewann in diesen Gebieten der Nationalist Sjanon Pasnjak vor dem seither regierenden Langzeitdiktator Alexander Lukaschenko. Zudem leben dort viele Weißrussen mit polnischen Wurzeln. Es ist unklar, ob die Bevölkerung dort als politisch unzuverlässig eingestuft wird. Klar war in jedem Fall, dass die baltischen Staaten und Polen auf die Veröffentlichung des Szenarios, in dem sie nur wenig verschleiert als Aggressoren dargestellt wurden, irritiert und verärgert reagierten. Die Nato kritisierte Sapad 2017 als Einschüchterungsversuch, auch wenn Generalsekretär Jens Stoltenberg "keine unmittelbare Bedrohung" für die Mitgliedsländer erkannte.

Streit um Absicht und Zahlen

Zweifel gibt es vor allem an den russischen Zahlenangaben: Laut dem Wiener Dokument der OSZE müsste Russland ab einer Truppenstärke von 13.000 Soldaten eine umfangreiche Beobachtung des Manövers zulassen. Die genannte Zahl von 12.700 bleibt knapp unter der kritischen Grenze. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen schätzt die tatsächliche Stärke der teilnehmenden Einheiten allerdings auf rund 100.000 Soldaten.

Zudem äußerten westliche Beobachter die Befürchtung, dass Russland mit der Übung trainingstechnisch auf die sogenannte Suwalki-Lücke ziele, den 100 Kilometer langen polnisch-litauischen Grenzstreifen, der als Schwachstelle gilt und dessen Einnahme das Baltikum von Polen abtrennen würde.

"Reiner Verteidigungscharakter"

Moskau weist die Verdächtigungen als "Hysterie" zurück. Die Zahlen von der Leyens entsprächen nicht den Tatsachen, teilte der Generalstab mit. Deutschland habe im Vorfeld alle nötigen Informationen bekommen. Das Manöver habe zudem "reinen Verteidigungscharakter", betonte Russlands Vizeverteidigungsminister Alexander Fomin.

Alle Nachbarn seien ausreichend über Umfang und Ziel der Übung informiert worden. Um Spannungen zu vermeiden, seien speziell Schießplätze in einem gewissen Abstand von der Grenze gewählt worden. "Aber selbst das hat nichts geholfen", klagte seinerseits der Chef des weißrussischen Generalstabs Oleg Belokonjew.

Das russische Außenministerium vermutet hinter der "künstlichen Aufregung" rund um das Militärmanöver den Versuch, die Aufrüstung der westlichen Militärallianz und vor allem die Aufstockung der Nato-Kontingente im Baltikum und in Polen zu rechtfertigen.

Russland verweist auf Nato-Übungen

In Moskau wird stattdessen die Nato zur Gefahr erklärt. Die Manöver seien nötig, um die Einsatzbereitschaft der Truppe aufrechtzuerhalten, meint der russische Militärexperte Wiktor Litowkin. Nato-Jets flögen an der russischen Grenze, darunter auch Flugzeuge, die potenziell Atombomben tragen könnten. Die Nato halte im Laufe eines Jahres 40 Übungen ab, darunter auch Großmanöver mit 25.000 Mann im Baltikum, Polen und Rumänien, rechnete er vor.

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" präsentiert andere Zahlen: Demnach haben russische Einheiten seit Beginn 2015 dreimal so häufig (124-mal) geübt wie ihre Nato-Pendants. Selbst bei den Großmanövern ist Russland der Statistik nach doppelt so aktiv.

Klar ist: Russland hat in den vergangenen Jahren seine militärischen Aktivitäten deutlich ausgebaut. Die russischen Streitkräfte sind nicht nur bei Manövern aktiv, sondern auch in zahlreichen Konflikten. Der Übung Sapad 2013 folgte nur wenige Monate später der Anschluss der Krim, an dem, wie Präsident Wladimir Putin später zugab, auch russische Einheiten beteiligt waren. (André Ballin aus Moskau, 14.9.2017)