Demonstranten protestieren im Juni 2016 vor der EU-Kommission gegen eine weitere Zulassung von Glyphosat. Im Dezember wird entschieden, ob das Pestizid für weitere zehn Jahre zugelassen wird.

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Das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat ist in der EU seit Jahren umstritten. Während die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit das Pestizid für ungefährlich erklärt hat, stufte die Internationale Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation Glyphosat als "wahrscheinlich für den Menschen krebserregend" ein.

Im Juni 2016 hat die Europäische Kommission die Zulassung um eineinhalb Jahre verlängert, diese läuft mit Dezember 2017 aus. Dann soll entschieden werden, ob Glyphosat für weitere zehn Jahre zugelassen wird. Großkonzerne wie Monsanto setzen sich dafür ein, NGOs suchen das zu verhindern. Der Biochemiker Helmut Burtscher von der Umweltorganisation Global 2000 hat sich in "Die Akte Glyphosat" mit der Geschichte und dem Einsatz von Glyphosat beschäftigt.

STANDARD: Die Ages, die österreichische Agentur für Ernährungssicherheit, nennt Glyphosat "weitgehend unbedenklich". Sie sagen, es ist schädlich. Wem sollen Konsumenten glauben?

Burtscher: In diesem Fall nicht der Ages, denn Glyphosat ist leider alles andere als unbedenklich. "Weitgehend", sagt die Ages, weil Glyphosat die Augen reizen kann.

STANDARD: Welche Beweise existieren dafür, dass es schädlich ist?

Burtscher: Glyphosat ist laut der WHO wahrscheinlich bei Menschen krebserregend. Diese Einstufung kommt unter anderem daher, dass Glyphosat bei Mäusen und Ratten in den Versuchen der Industrie Tumore hervorgerufen hat. Die Beweislage hierfür ist ausreichend, manche dieser Tumore sind immer wieder aufgetreten. Der Lymphdrüsenkrebs, der in drei von fünf Mausstudien aufgetreten ist, tritt auch bei Menschen, die mit glyphosathaltigen Pestiziden arbeiten, häufiger auf. Das Krebsrisiko ist ernst zu nehmen.

STANDARD: Warum fand die europäische Zulassungsbehörde keine Hinweise auf Krebsgefahr, die WHO aber schon?

Burtscher: Die europäische Behörde hat bei den Mausstudien der Hersteller die Auswertungen Wort für Wort aus dem Zulassungsantrag von Monsanto abgeschrieben, ohne sie zu prüfen. Diese Auswertungen waren allerdings nicht korrekt. Statistisch signifikante Zunahmen von Tumoren wurden dadurch verdeckt. Das hat dazu geführt, dass die europäische Behörde statt acht signifikanten Befunden nur einen gesehen hat. Das wäre auch das Endergebnis gewesen, wenn die WHO nicht zufällig eine eigene unabhängige Bewertung gemacht hätte. Das zwang die europäische Behörde, die eigene Bewertung noch einmal genauer anzuschauen: Und plötzlich sahen auch die EU-Behörden acht signifikante Krebsbefunde, wo sie ursprünglich nur einen einzigen sehen wollten.

STANDARD: Wie wurde ausgerechnet Glyphosat zu so einem Politikum?

Burtscher: Es ist zum ersten Mal passiert, dass ein Pestizid von einer Behörde und der WHO-Krebsforschungsagentur parallel bewertet wurde. Und prompt kam es zu einer solch unglaublichen Diskrepanz der Einschätzungen: Das gleiche Pestizid führte in zwei wissenschaftliche Paralleluniversen.

STANDARD: Inwiefern?

Burtscher: Bei Glyphosat wurde offensichtlich, wie dysfunktional das Zulassungssystem ist. Geheime Herstellerstudien finden scheinbar keine schädlichen Effekte, während unabhängige Studien in der wissenschaftlichen Literatur überwiegend schädliche Effekte berichten. Das betrifft aber nicht nur Glyphosat, sondern letztlich die gesamte Produktsicherheit, weil die Systeme überall sehr ähnlich sind. Dass die Industrie ihre Studien selbst machen, interpretieren und dann auch noch geheimhalten darf, ist einfach grundlegend falsch.

STANDARD: Ist Glyphosat das schädlichste Pestizid für den Menschen?

Burtscher: Nein, wir hatten es in der Vergangenheit mit noch deutlich Schädlicheren zu tun. Die sind dann zum Glück irgendwann identifiziert und eliminiert worden – oft erst nach Jahrzehnten. Besonders problematisch bei Glyphosat ist die große Verbreitung: Bei einer Untersuchung mit mehr als 2000 Menschen in Deutschland wurden 99,6 Prozent positiv auf Glyphosat im Harn getestet. Das waren zwar nur Spuren, aber ein krebserregendes Pestizid hat im Körper nichts verloren.

STANDARD: Wann kommt Glyphosat zum Einsatz?

Burtscher: Eine Anwendung ist zum Beispiel, wenn man im Winter eine Begrünung macht und dann im Frühjahr mit Glyphosat das Grün wieder wegmacht, damit der Acker nackt ist und man neu anpflanzen kann. Da macht man einfach Tabula rasa mit Glyphosat.

STANDARD: Wie lange bleibt Glyphosat im Boden?

Burtscher: Das Pflanzengift reichert sich im Boden an. Wenn man den Boden jedes Jahr mit Glyphosat behandelt, erholt er sich nicht. Dann ändert sich auch die Zusammensetzung der Bakterien, sie werden wie auch Pflanzen von Glyphosat getötet. Die Bodenvitalität leidet unter Glyphosat.

STANDARD: Mit welcher Entscheidung rechnen Sie im Dezember?

Burtscher: Ich hoffe, dass eine Entscheidung gefällt wird, die die EU-Gesetze respektiert. Dann kann Glyphosat nicht zugelassen werden. Wahrscheinlicher ist leider, dass es irgendeinen billigen Kompromiss gibt, wie ein Anwendungsverbot im privaten Bereich. (Nora Laufer, 15.9.2017)

Helmut Burtscher (50) ist Biochemiker und für die Umweltorganisation Global 2000 tätig. In seinem Buch "Die Akte Glyphosat" setzt er sich mit der Geschichte und dem Einsatz von Glyphosat auseinander.
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