Eugen Höflich kehrte 1917 nach Wien zurück, zehn Jahre später wandert er nach Palästina aus.

Foto: Ben Gavriel

Vor hundert Jahren stand die k. u. k. Armee im Nahen Osten Seite an Seite mit dem Osmanischen Reich und kämpfte auf palästinensischem Boden gegen die britische Armee. Mit dabei als österreichischer Soldat war der 1891 geborene Wiener Jude Eugen Höflich, der – nach Einsätzen an der Ostfront und einer schweren Verwundung – von Jänner bis Oktober 1917 in Jerusalem stationiert war.

In der von Hunger und Seuchen heimgesuchten Stadt hatte er das Kommando über das im Kloster Ratisbonne eingerichtete Lazarett für die Gaza-Front übernommen. Der Einsatz einer Sanitätskompanie war neben einer Gebirgshaubitzendivision der wesentliche Beitrag Österreich-Ungarns zur Verstärkung der türkischen Besetzung Palästinas, die ob ihrer Willkür und Grausamkeit von der Bevölkerung als unerträglich quälerisch empfunden wurde.

Es war die Widersinnigkeit, als europäischer Verbündeter an dieser maßlosen Unterdrückung einer "türkischen Kolonie" teilzuhaben, die Höflich dazu veranlasste, ein Tagebuch zu führen, aus dem später der Tatsachenroman Jerusalem wird verkauft entstanden ist. Darin erlebt ein k. u. k. Offiziersaspirant namens Dan die Schäbigkeit eines Krieges, der an dieser Peripherie nur noch aus Korruption, Gold- und Geldschiebereien, aus Hehlerei und erpresserischer Selbstbereicherung bestand.

Schon auf der Bahnfahrt von Konstantinopel (das hier Cospoli heißt) nach Jerusalem nimmt der österreichische Leutnant den Goldschmuggel türkischer Offiziere wahr, vor allem aber die unverkennbaren Zeichen vom Massenmord der Türken an den Armeniern. "Armenier sind hier vogelfreie Volksverräter", bemerkt er entsetzt: "Viele Tausende liegen erschlagen oder verhungert entlang der großen Landstraße." In Aleppo empören ihn "Tausende von armenischen Waisen, deren Väter und Mütter man mit deutscher Erlaubnis an den Straßen Anatoliens erschlug". Dan fährt durch das syrische Kampfgebiet und trifft überall auf Erschöpfung und Zerstörung.

Durch syrisches Kampfgebiet

Aber auch die Bilder vom Kriegseinsatz des Feindes begleiten den Reisenden: "In einem Dorf zwölf Tote in Reih und Glied neben dem Gleis der Eisenbahn. Eine Braut im Hochzeitsschmuck, ein Bräutigam und zehn andere Bauern. Vier davon sind Kinder: Ein englischer Flieger hat die Freudenfeuer eines hochzeitfeiernden Dorfes missverstanden und Bomben abgeworfen."

In Jerusalem ist Dan sogleich mit den Animositäten zwischen den verbündeten Türken, Deutschen und Österreichern konfrontiert. Der Autor stellt seinem Protagonisten einen jüdischen Offizier namens Walter Zinner zur Seite, und gemeinsam erleben die Österreicher angewidert die Übergriffe des türkischen Militärs auf die palästinensische Bevölkerung. Längst sehnen die Einheimischen den Sieg der Engländer unter General Allenby herbei.

Umso grausamer wütet das Schreckensregiment von Djemal Pascha, dem Schlächter von Syrien: "Die Bestie ist losgelassen. Wer nicht Türkisch spricht, ist politisch verdächtig. Araber werden gehängt, und nun kommt die Reihe auch an die Juden. Die Zionisten fallen nun der blinden Rache des Kamelpaschas zum Opfer. Die Stricke, an denen sie hangen, verkauft man als Mittel gegen den Bösen Blick und gegen Augenkrankheiten."

Das Städtchen Tel Aviv, das fast nur von Juden bewohnt war, hat Djemal Pascha eines Nachts räumen und mutwillig zerstören lassen. "Tel Aviv ist tot", stellen die beiden k. u. k. Beobachter entsetzt fest. "Wie Augen von Toten die Fenster. Eine ermordete Stadt. Die weißen Mauern des Gymnasiums stehen wie Knochen eines riesigen Skeletts in die brennende Sonne. Kein Mensch, nirgends ein Mensch." Zinners Wut wird unter diesen Eindrücken grenzenlos. "Das ist kein Krieg, das ist Menschenschlächterei, das ist die Wiedergeburt des teuflischen Mittelalters!", klagt er – es ist die Anklage des Autors.

Vorgänger Ephraim Kishons

Eugen Höflich kehrte Ende 1917 nach Wien zurück, aber zehn Jahre später wanderte er nach Palästina aus und nannte sich fortan Mosche Ya'akov Ben-Gavriêl. Seinen Tatsachenroman schrieb er auf Deutsch, doch das Buch konnte erst 1946 in hebräischer Übersetzung erscheinen. Damals begann gerade Ben-Gavriêls Nachkriegskarriere als auf Deutsch schreibender Satiriker, gleichsam als Vorgänger Ephraim Kishons, und da passte dem Autor sein Kriegsroman nicht ins Konzept.

So ruhte das Original von Jerusalem wird verkauft in den Archiven der israelischen Nationalbibliothek und erreicht erst jetzt, ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des Autors (1965), den deutschsprachigen Leser. Es ist ein Fundstück zur rechten Zeit: Lässt man sich heute auf Ben-Gavriêls zuweilen mit schwarzem Humor imprägnierte Schilderungen einer apokalyptischen Kriegsszenerie im Nahen Osten samt einem martialischen türkischen Nationalismus ein, fallen einem die Parallelen zu den gegenwärtigen Gräuelbildern aus der Region ebenso drastisch ins Auge wie die notorische Leugnung des Armenier-Genozids durch den türkischen Staat. (Oliver vom Hove, 17.9.2017)