Betropetzt in North Harbour: das südafrikanische Lager um Kapitän Eben Etzebeth (Mitte) und den umstrittenen Chefcoach Allister Coetzee nach der Abfuhr gegen Neuseeland.

Foto: apa/afp/bradley

Auckland – Grausamer Reality-Check für Südafrikas Rugby-Nationalteam: am Samstag gingen die Springboks in North Shore, einer Stadt im Großraum Auckland, in der vierten Runde des Rugby Championship gegen Neuseeland mit 0:57 unter. Es ist dies die höchste Niederlage die die Südafrikaner gegen die All Blacks je hatten hinnehmen müssen.

Winger Nehe Milner-Skudder scorte zwei von insgesamt acht Tries des regierenden Weltmeisters, der wohl seine beste Leistung der Saison zeigte. Vergessen sind die beiden letzten Partien, in denen die Neuseeländer gegen Australien am Rande der Niederlage standen und auch gegen Argentinien nicht hatten überzeugen können.

Diesmal aber erteilten sie ihrem Gegner im North Harbour Stadium eine Lehrstunde – gnadenlos nutzten die Männer in Schwarz jede sich bietende Gelegenheit für Punkte. Rieko Ioane, Milner-Skudder, Brodie Retallick und Scott Barrett querten in den ersten 40 Minuten – bei einem Stand von 31:0 war von einem Wettstreit bereits zur Pause keine Rede mehr. Fantastisch herausgespielte Versuche gab es zu sehen, Tempo, Handling, Entscheidungsfindung – alles wurde nahe der Perfektion exekutiert.

Ofa Tu'ungafasi Lima Sopoaga und Codie Taylor erhöhten den Score in der zweiten Halbzeit noch auf ungekannte Höhen, der bisher geltende Rekord aus dem Vorjahr wurde noch übertroffen. Damals hatte man Südafrika in Durban mit einem 57:15 heimgeleuchtet.

Im zweiten Spiel des Tages setzte sich Australien gegen Argentinien mit 45:20 durch.

Die Demonstration von North Harbour
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Zerstörte Hoffnung

Ein Debakel diesen Ausmaßes für die Boks war eigentlich nicht zu erwarten, im Gegenteil ging das Team in Grün und Gold mit verhaltenem Optimismus in die Auseinandersetzung mit seinem tradtitionellen Rivalen. Südafrika hatte in diesem Jahr noch kein Spiel verloren, fünf Siegen (drei gegen Frankreich und zwei gegen Argentinien) folgte vorige Woche ein respektables Remis in Australien – man sah sich nach einem furchtbaren letzten Jahr auf dem richtigen Weg.

Nach dem brutalen Erwachen fielen die Reaktionen zum Teil drastisch aus. Ex-Teamchef Nick Mallett sagte: "Dieses Bok-Team zu kritisieren ist, wie auf ein Seehund-Baby einzuprügeln. Die armen Burschen sind wehrlos." Kein Aspekt des Spiels habe funktioniert. Der ehemalige Kapitän Jean de Villiers meinte: "Wir haben alle gedacht, dass es nicht mehr schlimmer werden kann. Doch heute war es schlimmer. Es ist sehr schwer, etwas Positives zu finden, was über dieses Match gesagt werden kann."

Genau das unternahm der umstrittene Cheftrainer Allister Coetzee, es blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Er sei mit einigen Anstrengungen seines Teams zufrieden. Drei einfache Tries hätten sein Team in die unangenehmen Lage gebracht, ein Defizit gutmachen zu müssen. Daran, so Coetzee, sei man gescheitert, weil aufgrund unzureichender Leistungen bei Lineout und Scrum kein Druck auf den Gegner ausgeübt werden konnte.

Alte Feinde

Um den Schmerz im Rugby-verrückten Land am Kap zu verstehen, muss daran erinnert werden, dass in der Vergangenheit allein Südafrika dazu in der Lage war, die Neuseeländer dauerhaft im Kampf um die Rugby-Weltherrschaft herauszufordern. Das ist die Raison d'Être der Springboks, daraus ziehen Spieler und Anhänger ihren Stolz.

Es ist heute kaum mehr zu glauben, dass die Bilanz der Südafrikaner gegen die All Blacks bis etwa zur Jahrtausendwende ausgeglichen war. Vom ersten Duell im Jahr 1921 bis Ende der 1970er Jahre hatte man gar in der Mehrzahl der Fälle das bessere Ende für sich gehabt, dann begann sich das Blatt zu wenden. Im laufenden Jahrzehnt nun stellt sich die Lage aus südafrikanischer Sicht dramatisch dar: von 15 Vergleichen gingen nicht weniger als 13 verloren.

In der laufenden Rugby Championship ist nach diesem Spieltag jedenfalls zumindestens eine Vorentscheidung gefallen. Die All Blacks (19 Punkte) bleiben auf ihrem Weg zur Titelverteidigung weiter mit Weißer Weste an der Spitze, gefolgt von Südafrika (11), das in seinem nächsten Spiel Australien (8) in Bloemfontein empfängt. Neuseeland reist dagegen nach Buenos Aires, wo Argentinien (0) wartet. (Michael Robausch – 16.9. 2017)