Je am weißen Shirt zu erkennen: Gerade ist Silja Bächli Danton.

Foto: Alexi Pelekanos

St. Pölten – Anno 1794 klingt der Ruf der französischen Revolutionäre nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit schon reichlich dissonant. Maximilien de Robespierre ist nach wie vor ein glühender Vorantreiber der Revolution, vorm Blutvergießen schreckt er nicht zurück. Georges Danton dagegen will keine Gewalt mehr, sieht die Sache in der Tretmühle gefangen. "Man muss dauernd irgendwas tun", klagt er. Eine Bedächtigkeit, die seine Mitstreiter ihm nun zum Vorwurf machen. Denn das Volk wolle Opfer sehen.

Fünf Darsteller finden sich dazu zwischen weißen Wänden wieder. In blauen Overalls hieven sie zu Anfang einen riesigen Historienschinken herein. Delacroix' Gemälde (1830) von der Freiheit, die barbusig das Volk anführt, dient als Schmuck für eine Versammlung der Revolutionäre. Dann beginnen sie, zu deklamieren.

Unbeschadete Zeitreise

Nach historischen Quellen hat Georg Büchner 1835 Dantons Tod geschrieben. Mit Texteinsprengseln von u. a. Louis Aragon und Heiner Müller inszeniert Alia Luque die Denkerzelle etwas mehr als zweihundert Jahre nach ihrer Zusammenkunft aktuell in St. Pölten. Die Zeitreise hat jene weitgehend unbeschadet von aktuellen Politanspielungen überstanden. Man übt historische Zeitlosigkeit.

Massiv diskursiv ist der Abend ein Theorietext in Dialogen und verteilten Rollen. Verhandelt wird nicht weniger als die Möglichkeit des Zusammenlebens. Wie Prediger stehen die Uneinigen da und wortverfechten ihre Positionen. Dabei darf jeder einmal Danton sein, das dient neben dem demokratischen Gedanken auch der Charakterisierung des Titelhelden aus verschiedenen Richtungen: als zögernd (Silja Bächli), als überdrüssig (Bettina Kerl), als wütend (Tobias Artner).

Von dem sprachlich komplexen, fordernden Text dringen immer wieder unmittelbare Treffer zum Publikum durch. Aber man schwimmt oft wie mitgerissen in einem Strom. Das reduzierte Bühnenbild (Christoph Rufer) tut gut, weil es die Gedanken nicht szenisch zerstreut.

Brocken und Staub

Bis kurz vor der Pause. Da lernt das monumentale Gemälde – im Zuge einer Bildkritik als Propagandakritik – die Wirkkraft von Messern kennen, die Rückwand gibt unter der wiederholten Zusammenkunft mit einem Vorschlaghammer nach. Es kracht und staubt.

Zwischen Brocken hebt der letzte Akt an. Nun dürfen auch Michael Scherff und Cathrine Dumont Danton sein. In Puder, Perücke, Seidenstrümpfen und Spangenschuhen steht der nunmehr als Angeklagter vorm Konvent. "Stets werden Trümmer übrigbleiben", klagt er. Zwar seien diese "Material" zum Wiederaufbau – aber ist bei solchem Recycling neuerliches Scheitern nicht vorprogrammiert?

Die Streichermusik – Kompositionen von Joseph Boulogne und Giovanni Battista Viotti -, die das Spiel eindreiviertel Nettostunden lang aus der Konserve begleitet, ist herrlich anzuhören. Viel verdienter Applaus für eine ästhetisch kühl angerichtete schwere Kost. (Michael Wurmitzer, 17.9.2017)