Foto: christian benesch
Foto: Christian Benesch

Spaziert man nachmittags über den Wiener Schwendermarkt im 15. Bezirk, braucht man sich keine Sorgen zu machen, von Touristen überrannt zu werden oder den Markt mit einer Überdosis Falafel-Kostproben zu verlassen. Im Gegenteil. Man muss schon sehr genau hinschauen, um einen offenen Stand zu finden. Jener von Nina und Benedikt Strasser lockt nicht nur mit Zwetschgenkuchen, der gerade aus dem Ofen geholt wird und bis auf die Straße riecht. Auch die österreichischen Bioprodukte, die das Geschwisterpaar hier verkauft, wissen Stammkunden zu schätzen.

Kunden sehen den Einkauf auf dem Markt als Erlebnis – die Wunschvorstellungen reichen von Concept Stores zu Musikbegleitung.
DER STANDARD

Die Mischung aus Kuchenduft und heimeiliger Wohnzimmeratmosphäre wirkt allerdings etwas grotesk, schaut man auf die trostlos wirkenden Bauten rund um den Markt. Dieses Bild soll zumindest bald der Vergangenheit angehören, glaubt man den Plänen der Stadt. Man hat Großes vor mit dem Bezirksteil Rustendorf. Gebäude sollen saniert, Gassenlokale belebt, und der Verkehr soll beruhigt werden. Und der Schwendermarkt? Hier ist eine großangelegte Umgestaltung geplant, die nächstes Jahr starten soll.

Ob dann mehr Leute auf den Markt kommen, können die beiden Unternehmer noch nicht sagen. Bis es so weit ist, machen sie weiterhin das, was sie am besten können: Gastgeber sein und dazu beitragen, dass der Markt belebt wird und noch mehr Menschen hierherkommen.

Landkind
Wer steht dahinter:

Benedikt und Nina Strasser
Besondere Spezialitäten:
Vegane Brettljause mit Bohnen-Chili, frische Kuchen
Warum Markt?
Ein Markt ist vielfältig, und man sieht andere Standbetreiber nicht als Konkurrenten.

Landkind
Schwendermarkt
1150 Wien
Foto: Christian Benesch

Auch wenn der Marktbesuch oft mehr Luxus als notwendiges Übel ist. "Kaum jemand geht auf den Markt, um Produkte des täglichen Bedarfs zu kaufen. Menschen kommen hierher, wenn sie etwas Besonderes suchen. Außerdem schätzen sie es, mit Standlern zu sprechen und vielleicht eine Kleinigkeit essen oder trinken zu können. Der Marktbesuch ist ein Gesamterlebnis und hat eine soziale Funktion", sagt Nina Strasser, während sie gerade für zwei Stammgäste Erdäpfel und Gemüse in einer Pfanne anbrät.

Keine Nebenrechte

Will jemand einen neuen Stand eröffnen, darf er seinen Gästen diese Art von Essen künftig nicht mehr anbieten. Die neue Marktordnung sieht nämlich vor, dass es Standbetreiber nicht mehr erlaubt ist, sogenannte Nebenrechte auszuüben. Ein neueröffneter Feinkoststand darf dann keine (wie bisher) acht Sitzplätze mehr haben. Laut der Stadt Wien will man so den Nahversorgungscharakter der Märkte stärken.

Zimmer 37
Wer steht dahinter:

Iris Feeback und Johanna Haidacher
Besondere Spezialitäten:
Gesunde Mittagsgerichte und pochiertes Ei auf Sprossenbrot
Warum Markt?
Wir lieben das Grätzelgefühl am Markt. Hier hat man außerdem Zugang zu richtig guten Lebensmitteln.

Zimmer 37
Karmelitermarkt
1020 Wien
Foto: Christian Benesch

Für Nina Strasser ist diese Entscheidung nicht nachvollziehbar. "Bleibt die Regelung, ist das der Todesstoß für den Schwendermarkt. Mit einem Einzelhandel kann man hier nicht überleben. Die Frequenz ist nicht hoch genug".

Wollen die Betreiber ihren Stand weitergeben, würden sie auf den Investitionen sitzenbleiben, wie sie sagen. Derzeit laufen Gespräche über eine Novellierung der Marktordnung. Die zuständige Stadträtin Ulli Sima äußert sich auf STANDARD-Anfrage nicht dazu. Und auch beim Marktamt verweist man auf Spätherbst. Dann sollen neue Ergebnisse präsentiert werden, heißt es. Die Marktstandbetreiber hoffen darauf, dass die vermeintliche Schnellschussaktion der Stadt noch einmal überdacht wird.

Auch Iris Feeback und Johanna Haidacher appellieren an die Vernunft der Politiker. Am Karmelitermarkt im zweiten Wiener Bezirk betreiben Mutter und Tochter das Zimmer 37. Vor einigen Jahren hatten sie die Idee, ihren Gästen gesunde und nahrhafte Gerichte am Markt anzubieten. Doch weil sie es mit den acht Sitzplätzen nicht immer so genau nahmen, wurden sie abgestraft und bekamen vor rund einem Jahr den Bescheid, den Stand zu räumen.

Zur Räumung kam es nicht, an die Sitzplatzbeschränkung hält man sich seither jedoch strikt. Auch wenn das nicht so einfach ist. "Es entsteht oft eine Eigendynamik. Gäste nehmen sich selbst Sessel oder Kisten und setzen sich hin. Wenn zum Beispiel eine Runde von acht Leuten dasitzt und ein Bekannter kommt vorbei, darf er sich nicht dazusetzen. Sobald eine Person zu viel hier sitzt, werden wir angezeigt. Wir haben jetzt schon extra alle Sitzgelegenheiten weggeräumt", sagt Johanna Haidacher.

Iris Feeback plädiert für eine flexiblere Regelung und hält es für falsch, ein Gesetz über jeden Markt und jeden Stand zu stülpen. "Kunden verstehen natürlich nicht, warum sie ihren Kuchen nicht in der Sonne essen dürfen, wenn schon acht Leute dasitzen. Wir müssen sie aber bitten zu gehen, weil es hier um unsere Existenz geht. Wir stehen täglich über zwölf Stunden im Geschäft, und es funktioniert nur, weil wir auch etwas zu essen anbieten können. Ich habe heute mit dem Gemüsehändler gesprochen. Er hat mir erzählt, dass er bis Mittag genau drei Euro umgesetzt hat. Das ist die Realität", sagt Feeback. Marktromantik klingt anders.

Marctstandl
Wer steht dahinter:

Marc Schweiger
Besondere Spezialitäten:
Vegetarische Tagesteller, Suppen und Eintöpfe
Warum Markt?
Es gibt kaum einen Platz, auf dem man so eine Produktvielfalt und fachliche Kompetenz auf einem Fleck hat. Die Möglichkeit, alles zu verkosten, macht den Markt außerdem einzigartig.

Marctstandl
Meidlinger Markt
1120 Wien
Foto: Christian Benesch

Verstaubte Ideen

Die Zeiten, als der Markt Nahversorger war, sind definitiv vorbei, auch wenn man im Zimmer 37 neben Mittagsgerichten Biotopfen, frische Petersilienwurzel oder Rohmilch kaufen kann. Mit dem Angebot eines Supermarkts kann man nicht mithalten.

"Mit einem Einzelhandel kann man hier nicht überleben"

Für viele scheint es bequemer zu sein, Milch, Fleisch und abgepacktes Gemüse bei Spar, Billa und Co zu kaufen. Beobachtet man die Marktbesucher, wird schnell klar, dass es hier ohnehin nicht um den schnellen Einkauf geht. Mütter zeigen ihren Kindern am Stand unterschiedliche Gemüsesorten, reifere Herren sitzen zeitunglesend mit einer Tasse Kaffee in der Sonne, und Businessdamen scheinen es zu genießen, kurz aus dem Büro zu kommen und am Markt ein gutes Mittagessen zu bekommen.

Gründe, um auf den Markt zu gehen.
DER STANDARD

Einst sollte der Karmelitermarkt neue Bewohner anziehen. Nachdem er im Zweiten Weltkrieg, wie viele andere Wiener Märkte, völlig zerstört wurde, errichtete man im Zuge des Wiederaufbaus 110 neue Marktstände. Heute ist er vor allem ein Ort der Begegnung und Schauplatz unterschiedlicher Veranstaltungen.

Während sich der Karmelitermarkt auf einem eigens geschaffenen Platz angesiedelt hat, ist der Kutschkermarkt in Währing einer der letzten Straßenmärkte Wiens. Hier legt man nicht nur Wert auf gute Produkte, sondern auch auf das Bild des Marktes. Die Stände wirken modern und durchdesignt.

Pöhls Käsestand & Cantine
Wer steht dahinter:

Irene Pöhl
Besondere Spezialitäten:
Eierspeis mit Schafskäse und Rucola, warme Mittagsgerichte
Warum Markt?
Am Markt profitiert man als Standbetreiber voneinander. Es ist ein Platz, an dem alle Generationen zusammenkommen.

Pöhls Käsestand & Cantine
Kutschkermarkt
1180 Wien
Foto: Christian Benesch

Und generell scheint hier die Welt noch in Ordnung zu sein, schenkt man Irene Pöhl Glauben. Vor vielen Jahren begann sie, Milch und Käse aus einem kleinen Wohnwagenanhänger heraus zu verkaufen. Heute ist sie Anlaufstelle für Liebhaber ausgefallener Käsespezialitäten und betreibt neben einem riesigen Stand auch eine Gastronomie gleich gegenüber. "

Den Kuchen müssen Sie probieren. Der schmeckt großartig", schwärmt die Unternehmerin, die hier die gute Seele des Marktes zu sein scheint. Mit dem Kuchen meint sie jene Apfeltarte, die Florian Ott vom Café Himmelblau gerade vorbeibringt. Und sogleich eilen auch Fischexperte Suat Takan und "Weltmeister-Kebap"-Macher Hüseyin Tanis herbei, um eine kurze Pause bei Frau Pöhl zu machen. Lange haben sie nicht Zeit, die Kundschaft wartet.

"Unser Markt funktioniert so gut, weil wir alle zusammenhalten und weil wir das Marktamt in alle Entscheidungen miteinbeziehen. Das ist wichtig, wenn man gut miteinander auskommen möchte", sagt Irene Pöhl. Dass man am Markt nicht nur einkaufen kann, hält die erfahrene Standbetreiberin für wichtig. "Das Geheimnis eines Marktes ist die Mischung. Dazu gehören Blumen-, Gemüse- und Feinkoststände. Das Überlebenskonzept für unseren Markt war die Gastronomie. Der Kutschkermarkt hat sich von einem kleinen Straßenmarkt zu einem kulinarischen Treffpunkt entwickelt."

Und dabei drohte dem Markt vor ein paar Jahren schon das Aus. Gemeinsam mit Florian Ott und anderen Standbetreibern setzt sich Irene Pöhl dafür ein, dass der Kutschkermarkt erhalten bleibt und weiter wächst. Wer hier allerdings neu aufsperrt, wird erst einmal mit den Regeln vertraut gemacht. Alleingänge werden nicht gern gesehen. "Wir kaufen das Gemüse von unseren Nachbarn am Stand. Wenn wir Käse servieren, fragen die Leute, wo man den bekommt. Dann gehen sie einfach ein paar Schritte und stehen vor Irene Pöhls Käsestand. So profitieren wir voneinander", sagt Florian Ott.

Beim optimalen Verhältnis zwischen Gastronomie und Markt verstricken sich die Besucher in Widersprüche.
DER STANDARD

Ein gutes Auskommen unter den Marktstandlern pflege man laut Marc Schweiger auch am Meidlinger Markt. Der Unternehmer verkauft dort Eintöpfe und Suppen im Glas. Außerdem wird täglich frisch gekocht. Die neue Marktordnung sei für ihn nicht mehr zeitgemäß. "Einen Markt als reinen Nahversorger zu sehen, ist zu kurz gedacht. Ich fände es besser, wenn es sogenannte Concept-Stores am Markt gäbe. Außerdem muss man jeden Markt anders behandeln. Manche Märkte brauchen mehr Gastronomie, manche mehr Gemüsestände. Am Meidlinger Markt brauchen wir keinen neuen Gemüsestand, weil die beiden vorhandenen sich schon schwertun", sagt Schweiger. Gerade sei gegenüber ein neuer Feinkoststand eingezogen, der noch Glück hatte. Die Betreiber konnten die Nebenrechte behalten.

Ella's Twins
Wer steht dahinter:

Elijahu, Ella und Menashe Babaev
Besondere Spezialitäten:
Black-&-White-Schokoladentorte, Macarons
Warum Markt?
Man kann Synergien am Markt nutzen und hilft sich gegenseitig. Wir sind außerdem am Markt aufgewachsen.

Ella's Twins
Vorgartenmarkt
1020 Wien
Foto: Christian Benesch

Ähnlich ging es auch Menashe und Elijahu Babaev. Das Brüderpaar ist quasi auf dem Markt aufgewachsen. Mit ihren Eltern sind die beiden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Österreich gekommen und haben Fisch am Markt verkauft. Ihre Mutter betreibt einen Fischstand am Vorgartenmarkt. Am Stand gegenüber hat man früher lebende Karpfen verkauft. Das komme heute nicht mehr so gut an, meint Ella Babaev. Also haben die Söhne sich ein neues Konzept überlegt und servieren Marktbesuchern Torten, Macarons und handgemachte Pralinen. Alles bekommen sie von einem Konditor, der auf Bestellung liefert.

Auch sie dürfen die Nebenrechte noch ausüben, weil sie rechtzeitig um die Genehmigung angesucht haben. "Der Markt war vom Aussterben bedroht. Durch neue Lokale und Geschäfte wurde er wieder attraktiv. Es geht ja auch darum, dass Kunden Produkte kennenlernen können. Wenn jemand bei uns einen Kaffee trinkt, und er schmeckt ihm, kann er ihn gleich mitnehmen. Das unterscheidet einen Markt von einem Supermarkt", sagt Menashe Babaev und hofft, dass ihr Konzept aufgeht. Denn geht es nach der aktuellen Marktordnung, dürfte ein neuer Betreiber das Geschäft nur noch als Verkaufsstand betreiben, und das Zwillingspaar bliebe auf seinen Investitionen sitzen. (Alex Stranig, RONDO, 24.9.2017)

Impressionen vom Kutschkermarkt (von links): Suat Takan, Café Himmelblau, Hüseyin Tanis, Pöhls Käsestand.
Foto: Alex Stranig