Kein Schloss in Sicht: Woody Harrelson und Ella Anderson.

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Wien – Am Beginn steht die Verleugnung. Jeannette (Brie Larson) möchte beim Dinner mit ihrem gutsituierten Verlobten und dessen Freunden nicht über ihre Herkunft sprechen. Die Mutter sei Künstlerin und der Vater Ingenieur, erklärt sie ausweichend. Dem Verlobten hat sie ihre Eltern auch noch nicht vorgestellt, obwohl beide seit einiger Zeit ebenfalls in New York leben. Erst vor wenigen Tagen hat sie ihre Mutter gesehen, als diese die Mülltonnen durchwühlte.

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In ausgedehnten Rückblenden erzählt Schloss aus Glas (The Glass Castle) in der Folge von der Kindheit Jeannettes (Ella Anderson) und ihrer drei Geschwister, als diese mit Vater Rex (überspannt: Woody Harrelson) und Mutter Rose Mary (unterbeschäftigt: Naomi Watts) durchs Land zogen. Die Freiheit und die Träume waren groß, doch Geld und Essen immer zu knapp. Und doch gab es dieses eine Versprechen an die Kinder für die Zukunft: aus dem heruntergekommenen Haus, in dem man irgendwann gelandet war, ein Paradies zu schaffen, ein gläsernes Schloss wie im Märchen.

The Glass Castle ist ein Film über den amerikanischen Traum, der immer wieder in hoffnungsvollen Bildern nach diesem sucht, so als wolle er diese wenigen glücklichen Momente in Jeannettes kühler New Yorker Gegenwart weiterleben lassen. Er verankert diesen Traum im bedingungslosen Glauben der Eltern, die in einer Form von Selbstbetrug das eigene Scheitern niemals wahrhaben wollen.

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Basierend auf Jeannette Walls' 2006 erschienener, zum Bestseller gewordenen Autobiografie buchstabiert Regisseur Destin Cretton dieses Misslingen allzu redlich aus: Das Elend, dem Walls tatsächlich ausgesetzt war – sie verschwieg als Gesellschaftskolumnistin lange Zeit ihre Biografie -, reduziert Cretton allerdings auf jenes erträgliche Maß, das es erlaubt, ihren Eltern stets ausreichend Empathie und damit Nachsicht entgegenzubringen. Alkoholismus, eine angedeutete psychische Störung, mangelnde Fürsorge werden somit zu bloßen Begleiterscheinungen eines widerständischen Außenseiterlebens.

Die Archivaufnahmen der Familie Jeannette Walls', die Cretton an das Ende des Films montiert, wirken dagegen wie aus einer anderen Welt. Hier schimmert durch, wie dieser Film hätte aussehen können: eindringlich, rau und wahrhaftig. (Michael Pekler, 20.9.2017)