In patriarchalischen, vormodernen Gesellschaften sind junge Frauen sehr oft eine Art Verfügungsmasse. Ihre Jungfräulichkeit, ihre "Ehre", ihre Unterwerfung unter die rigiden Normen des Clans haben einen "Marktwert" für die Familie – meist den der arrangierten oder erzwungenen Verheiratung mit Männern, die Väter (und oft auch Mütter) für sie ausgesucht haben.

Die 14-jährige Afghanin, die jetzt von ihrem 18-jährigen Bruder mit 13 Messerstichen ermordet wurde, war vor der Familie in ein Krisenzentrum geflohen, weil sie sich zu Hause eingeengt gefühlt hatte. Sie habe sich nicht einmal mit Freundinnen treffen können. Sie habe den "Eltern Kummer bereitet", sagte ihr Bruder. Das könnte auch ein Code sein für: Sie wollte der Perspektive einer Zwangsverheiratung entgehen. Das war ein todeswürdiges Vergehen.

In Wien gibt es den Verein Orient Express. Er kümmert sich um Mädchen und junge Frauen, denen die Zwangsverheiratung droht oder die aus einer Zwangsehe fliehen wollen. 2016 wurden 109 junge Frauen betreut, davon 48 bereits zwangsverheiratete. Die Leiterin des Orient Express sagt, die Zwangsverheiratung sei nicht ausschließlich ein muslimisches Problem (auch unter katholischen Roma gebe es das), aber doch mehrheitlich. Und: Betroffen sind (noch?) keine Flüchtlingsmädchen, sondern die Mehrzahl sind österreichische Staatsbürgerinnen ... (Hans Rauscher, 20.9.2017)