Oxford/Wien – Es war zweifellos einer der größten Durchbrüche in der Geschichte der Mathematik: die Erfindung der Null als eigenständige Zahl, mit der man rechnen kann. Zwar verwendeten schon die Babylonier einen Platzhalter dafür, wenn etwa zwei gleiche Zahlen voneinander subtrahiert wurden – gerechnet wurde damit aber nicht.

Die Maya hatten hingegen schon ein eigenes Zeichen für Null (das entfernt an eine Muschel erinnert), das ebenfalls als Platzhalter diente und die Berechnungen des Kalenders und astronomischer Ereignisse ermöglichte. In der ägyptischen und römischen Mathematik kam man ohne Null aus.

Indische Entwicklung

Die Entdeckung des bahnbrechenden Konzepts der Null, wie wir es heute kennen, ist aber den Indern zu verdanken: Im indischen Zahlensystem wurde ein Punkt als Platzhalter und Stellenwertangabe verwendet, aus dem sich schließlich die bauchige 0 entwickelte. "Dividiert man irgendeine Zahl durch das Nichts, so wird Unendlichkeit", schrieb der Astronom und Mathematiker Brahmagupta im siebten Jahrhundert – und veränderte die Welt.

Das 1881 gefundene Bakhshali-Manuskript befindet sich seit 1902 in den Bodleian Libraries der University of Oxford.
Foto: APA/AFP/Bodleian Libraries

Doch wann tauchte die Null in Indien zum ersten Mal auf? Als ältester dokumentierter Beleg gilt das Bakhshali-Manuskript, benannt nach seinem Fundort im heutigen Pakistan. Dort wurde im Jahr 1881 in einem Feld eine auf Birkenrinde verfasste Sammlung mathematischer Schriften entdeckt.

Datierung einer Revolution

Das rund 70-seitige Manuskript, das von verschiedenen Autoren verfasst worden sein muss, enthält eine Reihe mathematischer Regeln und praktischer Beispiele – das Zielpublikum könnten möglicherweise Händler der Seidenstraße gewesen sein. Von wann dieser Text aber stammt, war bislang umstritten. Die meisten zeitlichen Einordnungen bewegen sich zwischen dem siebten und dem zwölften Jahrhundert.

Forscher der University of Oxford untersuchten das Manuskript nun mithilfe der Radiokarbonmethode und kamen zu einem erstaunlichen Ergebnis: Die Sammlung ist deutlich älter als bisher angenommen. Das älteste der untersuchten Birkenblätter, auf dem auch der Null-Punkt vorkommt, stammt aus dem zweiten bis vierten Jahrhundert.

Marcus du Sautoy berichtet von der Entdeckung.
University of Oxford

"Ich bin völlig verblüfft, wie alt es tatsächlich ist, das ist sehr unerwartet", sagte der Mathematiker Marcus du Sautoy von der University of Oxford. "Damit muss auch die Geburt der Null als eigenständiges mathematisches Konzept vordatiert werden."

Unklare Entstehungsgeschichte

Die Revolution blieb aber zunächst geografisch beschränkt: Erst Jahrhunderte später übernahmen arabische Mathematiker die indische Null und entwickelten sie weiter, ehe sie dann im Mittelalter auch in Europa auftauchte, wogegen sich allerdings Widerstand regte, auch seitens der Kirche: Die arabische Null wurde als "teuflisch" verdammt.

Ausschnitt aus dem Bakhshali-Manuskript: Der Punkt in der untersten Zeile stellt eine Null dar. Die Handschrift konnte nun auf das zweite bis vierte Jahrhundert datiert werden.
Foto: APA/AFP/Bodleian Libraries

Wer die Urheber der Schriften von Bakhshali waren, bleibt indes ungewiss. Zwei weitere nun datierte Blätter sind du Sautoy zufolge deutlich jünger: Sie stammen aus dem siebten bis achten und aus dem zehnten Jahrhundert. Wer am 4. Oktober in London ist, kann einen Blick auf das Original werfen: Dann wird das Bakhshali-Manuskript im Science Museum London zu sehen sein. (David Rennert, 20.9.2017)