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Die romantische Liebe, eine Geschichte voller Versuche von Männern, aus einem Nein ein Ja zu machen.

Foto: AP/Beth J. Harpaz

Es sollte eine musikalische Liebesbekundung werden – und zunächst haben viele es auch so verstanden. Als die britische Presse damit begonnen hatte, über einen Mann zu berichten, der in einem öffentlichen Park in Bristol so lange Piano spielen wollte, bis seine Exfreundin zu ihm zurückkehren würde, setzte sie dabei voll auf den "Awww"-Effekt: was für eine verzweifelte Großtat eines hoffnungslosen Romantikers! Wenig später verselbstständigte sich die Geschichte jedoch, und ein Update jagte das nächste. Selbst Zeitungen, die zunächst wohlwollend und gerührt über Luke Howard und seinen Fall berichtet hatten, änderten ihre Sichtweise.

"Frauen dürfen euch verlassen"

Denn es ist eben auch ihr Fall. Deshalb vertraten in den sozialen Medien insbesondere Frauen eine ganz andere Auffassung als die, die sich der Pianomann und die Presseleute ausgemalt hatten. Am deutlichsten formulierte das die Gründerin des ortsansässigen Frauenliteraturfestivals:

"Männer, Frauen dürfen euch verlassen. Ihr habt keinen Besitzanspruch auf eine Freundin. Medien, hört damit auf, kontrollierendes Stalkerverhalten zu romantisieren."

Bezüglich der gleichen Geste wurden plötzlich ganz andere Lesarten angeboten und Fragen gestellt: Wieso macht dieser Mann das an einem so öffentlichen Ort und lädt dazu Medienvertreter ein? Warum übergeht er das offensichtlich vorangegangene "Nein" seiner Exfreundin zu einer Weiterführung der gemeinsamen Beziehung?

Ist das nicht doch irgendwie schmierig und gruselig, wenn so ein Typ, mit dem du einmal etwas hattest, ohne dich zuvor um Erlaubnis zu bitten, so eine Nummer durchzieht? Und immer wieder taucht die Frage auf, wo genau die Grenze verläuft. Bis wohin ist es eine romantische Geste und ab wann übergriffiges Verhalten? Eine Antwort auf diese Frage zu finden ist alles andere als einfach, aber beim Versuch lässt sich viel über die Gesellschaft und über die eigene Sicht auf Liebe und Beziehung herausfinden.

Denn wir alle leben unter dem Primat der romantischen Liebe. Ob wir es wollen oder nicht, ob wir gerade romantisch involviert sind oder finden, dass Liebe stinkt – der Wert, an dem wir stets gemessen werden, ist der der heterosexuellen, romantischen Zweierbeziehung. In unzähligen Kulturerzeugnissen versichern wir uns ihrer, erzählen sie neu und schreiben sie uns ein. Sie mit ihm, er mit ihr, gib dich hin, nimm sie dir. Und da sind wir auch schon mittendrin. Denn einerseits ist die Geschichte voller Versuche von Männern, aus einem Nein ein Ja zu machen. Sich aus ihrem Desinteresse herauszuschmeicheln oder ihren Widerstand zu brechen. Als Mann wähne ich mich dazu berechtigt, ein "Nein" nicht hinnehmen zu müssen.

Herren der Bedeutungsebene

Ein "Nein" ist somit romantische Verhandlungsmasse, es besiegelt nicht das Ende, sondern markiert den Auftakt für weitere Taten und Überzeugungsarbeit. Und in der Tat erwachsen daraus eine große Anspruchshaltung und ein massives Problem: Wenn unter dem romantischen Primat das "Nein" einer Frau verhandelbar ist und keine endgültige Ablehnung bedeutet, was muss sie dann sagen, um wirklich Nein gemeint haben zu dürfen. Stopp? Hör auf? Ich will das nicht? Viel zu oft erscheint es Männern genehm, auch diese Warnhinweise einfach beiseitezuwischen und sich zu Herren der Bedeutungsebene aufzuschwingen: Wann "genug" wirklich genug bedeutet, bestimmen immer noch sie. Und was Frauen gemeint haben wollen, wissen Männer ja wohl am besten. In letzter Konsequenz gehen sie dabei über das anfängliche Unbehagen von Frauen hinweg. Bis zum Schmerz und darüber hinaus. Weil sie sich dazu berechtigt fühlen.

Andererseits fühlen sich Männer eben nicht nur berechtigt, sondern bemühen sich schlicht und ergreifend darum, das Richtige zu tun. So auch der Pianomann aus Bristol.

Steve le Fevre

Denn das Primat der romantischen Liebe entkernt nicht nur das weibliche "Nein", sondern fordert mit immensem Nachdruck das männliche Werben. Es verlangt, dass Männer Frauen überraschen und erobern. Sie sollen sich etwas einfallen lassen und allzeit bereit sein, um sie zu kämpfen. Ein gutes Beispiel für diesen Umstand ist der klassische Heiratsantrag. Das Internet ist voll von großen, öffentlichen Gesten, bei denen Männer kniend um die Hand der Liebsten bitten. Und auch voll von darauffolgenden Ablehnungen.

Funny Fails

Ich bezweifle, dass die Mehrheit der Männer an einen solchen Heiratsantrag mit dem Plan herangeht, Druck aufzubauen, um ein möglicherweise vorhandenes Nein vor und durch Publikum in ein Ja zu verwandeln. Stattdessen spüren sie selbst Erwartungsdruck und bemühen sich nach Kräften, das Erwartete abzuliefern.

"Es war eine naive, romantische Geste, von der ich zu dem Zeitpunkt dachte, sie wäre richtig", sagt Luke Howard. "Ich wollte ihr nur zeigen, wie sehr ich sie liebe."

Weil die meisten dieser Gesten im Kern besitzergreifend sind, gleiten sie allzu leicht ins Übergriffige ab. Zugleich aber werden sie hofiert, belohnt, zur Bedingung gemacht und eingefordert. Am Ende der Romantik steht die Erkenntnis, dass Liebe ziemlich kompliziert ist und man ganz neu über sie denken und sprechen sollte. Und gerade weil das keineswegs eine neue Erkenntnis ist, müssen wir uns die Frage gefallen lassen, worauf wir eigentlich noch warten. (Nils Pickert, 24.9.2017)