Bonn hat eines, Berlin gleich mehrere und sogar in St. Pölten wurde eines eröffnet. Die Rede ist von einem Haus der Geschichte. Wien hat bekanntermaßen keines und bekommt es auch nicht, zumindest kein Haus im eigentlichen Sinn. Ja, er wird toll werden, der dafür reservierte Flügel in der so genannten Neuen Burg am Ring. Klare Statements zu Geschichte und Gegenwart sehen jedoch anders aus. Sie nehmen sich Platz und reflektieren eine baukünstlerische und politische Haltung zugleich.

Wien ist wahrscheinlich derzeit mit anderen Dingen beschäftigt, mit Mauern, die schon fundiert sind und doch nicht kommen, mit einem herumsiedelnden Parlament (man hätte ein Wanderparlament machen können) und mit Pollern. Denn wenn ihr (Bürger) Mauern nicht wollt, werden Poller kommen.

Zugepollerte Stadt

In kürzester Zeit wird alles, was Rang hat am Ring, zugepollert sein, mit dickeren, dünneren, eckigen oder runden Stangerln, Pfosten und Pfeilern, aus antiquiert verziertem Gusseisen, glatt poliertem Edelstahl oder gegossenem Beton. Ich plädiere für einen Pollerwettbewerb und einen für massive Blumenkästen gleich dazu, denn die waren auch schon im Gespräch als urbaner Schutz gegen Terrorattacken. Man könnte auch noch Autobahn-Schallschutzwände dazu nehmen, die in Österreich ein Bauwerk im Ausmaß der chinesischen Mauer einnehmen, mit einem baukünstlerischen Faktor allerdings, der gegen Null geht.

Mailands Casa della Memoria

Das norditalienische Mailand bekam 2015 ein Haus der Geschichte, beziehungsweise korrekt übersetzt ein Haus der Erinnerung. Die Casa della Memoria steht nicht im chicen Zentrum, sondern in Isola in der Nähe des Bahnhofs, wo sich seit kurzem neue Wohnhochhäuser in die Höhe türmen, ein in dem durchmischten Stadtteil nicht unumstrittenes Projekt.

Geplant wurde die Casa della Memoria von "Baukuh", ein in Mailand und Genua stationiertes Architekturkollektiv mit lustigem Namen und einem starken Plädoyer für öffentliche Räume. Man bezieht sich auf monumentale Typologien der historischen Stadt, interpretiert deren archetypischen und repräsentativen Charakter und schafft zugleich Räume, die zu einem aktiven Handeln anregen.

"Baukuh" schließen an die Tradition eines Aldo Rossi an (Stadt besteht aus immer gleichbleibenden Bautypen), bezieht sich aber ebenso auf radikale und nicht baubare Entwürfe der 70er-Jahre-Kollektive wie Archizoom oder Superstudio.

In Ziegelpixeln "gemalte" Porträts

Die Casa della Memoria ist das kollektive Headquarter mehrerer Institutionen, die sich mit der Geschichte der Freiheit und Demokratie in Italien auseinandersetzen. Mit seiner einfachen und prägnanten Form – ein Quader 20 mal 35 Meter und 17 Meter hoch – setzt das Gebäude dem fluiden Inhalt eine gewollte Schwere entgegen. Die Fassade changiert zwischen roten und grauen Ziegeln und zeigt überdimensionale, in Ziegelpixeln "gemalte" Porträts anonymer Mailänder Bürger sowie eine Reihe an historisch bedeutenden Momenten wie etwa Deportationen in Konzentrationslager. Im Inneren dominieren eine grellgelbe Stiege, ein hoher, leerer Raum und Ausstellungsräume in rauer Betonstruktur.

Prägnante und industriell anmutende Architektur vor den Hochhäusern von Stefano Boeri.
Foto: Stefano Graziani
Erinnerung bildet sich nach außen ab.
Foto: Stefano Graziani
Wien setzt (wie Mailand auch) auf Luxustürme, gibt der Erinnerung aber wenig Platz.
Foto: Stefano Graziani
Ein monolithischer Quader, eine subtile Fassade und viel Raum für ein Archiv.
Foto: Stefano Graziani
Die grell-gelbe Stiege bilden den Gegensatz zur rauen Betonstruktur.
Foto: Stefano Graziani

Und Wien?

Mailand hat es gut, es darf seine Erinnerungen und Geschichte in neuer Architektur zeigen, lässt junge Kollektive dort bauen, wo andernorts nur Stars zum Zug kämen und zeigt, dass die Stadt neben Luxuslabels auch andere Geschichten zu bieten hat. Was will Wien? Was haben Habsburger Prunkbauten mit der Erinnerung an Demokratie, Freiheit und Widerstand zu tun? Warum gibt die Stadt Luxuswohntürmen Raum und einem Haus der Geschichte nicht? Wer ist die Stadt? Wer plant Wien?

Pier Paolo Tamburelli von "Baukuh" wird am 12. Oktober im Rahmen des jährlich stattfindenden Symposiums "Superstadt" an der Kunstuniversität Linz einen Vortrag halten. "Superstadt 2017, Revolte!" widmet sich urbanen Aufständen und deren Einfluss auf städtische Räume. Architekten zeigen Revolutionsarchitektur und Urbanisten Orte, an denen Revolten ausbrechen. Stadtguerilleras vermitteln praktische Tipps, Künstler interpretieren den Aufstand, und die Kultur- und Medientheorie reflektiert das Ganze. Vorträge, Lecture Performances und in Videointerviews zugeschaltete Theoretiker der Revolte werden von einer empathischen Moderation und Revolutionsliedern aus allen Epochen begleitet. Denn wie heißt es so schön: "Wenn ich nicht dazu tanzen kann, ist es nicht meine Revolution." Und ist es nicht "Superstadt"! (Sabine Pollak, 27.9.2017)