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Foto: AP Photo/Jens Meyer

Die Parlamentswahlen in Deutschland und Österreich stehen zum Teil unter ähnlichen Vorzeichen: In beiden Ländern liegt eine Mitte-rechts-Partei mit einer populären Persönlichkeit an der Spitze klar in Führung, während sich die Sozialdemokraten mit ihren etwas verwelkten Hoffnungsträgern schwertun – ebenso wie die Grünen. Aber eines ist anders: Während sich bei der SPD zu bestätigen scheint, dass man als kleinerer Koalitionspartner gegenüber der Kanzlerpartei immer unterlegen ist, will Sebastian Kurz den Gegenbeweis antreten. Er ist zwar eines der längstdienenden Regierungsmitglieder, tritt aber als eine Art Oppositionsführer auf.

Martin Schulz hätte als innenpolitischer Newcomer diese Doppelrolle noch viel besser spielen können, aber er hat seine Chance nicht genutzt. Weder hat er seinen Wahlkampf so präzise vorbereitet wie der ÖVP-Chef, noch konnte er ein klares Alternativprogramm zu Angela Merkel formulieren. Für einen überzeugenden Klassenkämpfer ist Schulz trotz seiner Bodenständigkeit politisch zu moderat.

Zorn gegen Ausländer, nicht die Reichen

Was beide Länder wiederum verbindet: Das einzige Thema, das große Wählergruppen bewegt, ist die Zuwanderung. Der Kampf gegen Ungleichheit, mit dem die Sozialdemokratie ihre Schlachten schlagen will, zieht da viel weniger. Denn den meisten Wählern geht es finanziell zu gut, als dass sie sich für Umverteilung begeistern könnten. Und die wirtschaftlichen Verlierer, die in Deutschland noch zahlreicher sind als in Österreich, richten ihren Zorn viel eher gegen die Ausländer als gegen die Reichen.

Beim Flüchtlingsthema war es Merkels großes Kunststück, ihre mehrfachen Kurswechsel – zum "Wir schaffen das" und zurück zu de facto geschlossenen Grenzen – als Ausdruck der Kontinuität zu verkaufen. Sie verliert zwar Stimmen am Rande, hält aber die Wähler der Mitte an der Stange. Die SPÖ-Kanzler Werner Faymann und Christian Kern gerieten hingegen bei ihrer eigenen Gratwanderung zwischen internationaler Solidarität und Volksverbundenheit ins Trudeln; sie wirkten und wirken in dieser zentralen Frage nicht pragmatisch, sondern unentschlossen. Das ist sicher einer der Gründe, warum sich in Berlin, anders als in Wien, kein Wechsel an der Regierungsspitze anbahnt.

Rechtspopulismus auch in Berlin

Doch eines kann auch Merkel nicht verhindern: dass sich auch in Deutschland eine starke rechtspopulistische Partei etabliert. Die Stimmanteile der FPÖ wird die Alternative für Deutschland (AfD) selbst im besten Fall nicht erreichen, auch weil die Freiheitlichen ihre Verbindungen zum ultrarechten Rand viel besser kaschieren als ihre neuen deutschen Freunde.

Aber ein zweistelliges Ergebnis für die AfD würde bedeuten, dass die einzige realistische Regierungsoption die Fortsetzung der großen Koalition ist – mit zwei Partnern, die sich immer weniger leiden können. Die AfD wäre dann die stärkste Oppositionspartei im Bundestag und würde in den kommenden vier Jahren – so wie bei uns die FPÖ – von der Frustration über Stillstand und Streit profitieren.

Österreichs politische Führung lebt mit diesem Dilemma schon seit gut 30 Jahren und sieht als einzigen Ausweg, eine Regierungsbeteiligung der FPÖ trotz deren fehlender Eignung gelegentlich zu akzeptieren. Noch ist es in Deutschland nicht so weit. Aber die Ankunft der AfD als dritte Kraft droht zum bedeutendsten Ergebnis der deutschen Wahl am Sonntag zu werden. (Eric Frey, 23.9.2017)