Die SPD schläft jetzt gar nicht mehr. Bis zur letzten Minute machen die Genossen im Willy-Brandt-Haus in Berlin durch, beantworten durchgehend per Mail oder Telefon Fragen. SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz warb am Samstag noch einmal bei einer Großkundgebung in Aachen, unweit seiner Heimatstadt Würselen, für sich.

Kanzlerin Angela Merkel zeigte am Samstag erneut in ihrem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern Präsenz. Sie will nicht, dass dort der Direktkandidat der AfD zu viele Stimmen bekommt. Was die AfD betrifft, so ist zumindest eines klar: Egal, wie stark sie wird, niemand will mit ihr koalieren.

Doch es gibt ja auch Wünsche, die man positiv formulieren kann.

Wahlkampfthema Arbeitsmarkt

Die Union will bis zum Jahr 2025 Vollbeschäftigung erreichen, die SPD strebt dies ebenfalls an, nennt aber keine Jahreszahl. Für Vollbeschäftigung müsste die Arbeitslosenquote von aktuell 5,7 auf unter drei Prozent sinken. Während CDU, CSU und FDP auf Flexibilität für Unternehmen setzen und befristete Verträge, Leiharbeit und Minijobs für unverzichtbar halten, wollen die anderen Parteien Verbesserungen für die Arbeitnehmer. So fordern SPD und Grüne, Leiharbeitern vom ersten Tag an den gleichen Lohn wie Stammbeschäftigten zu zahlen. Linke, Grüne, SPD und AfD wollen auch beim Arbeitslosengeld I (Versicherungsleistung nach Jobverlust) großzügiger sein und entweder niedrigere Hürden für den Bezug einführen oder die Bezugsdauer verlängern.

Darin ist Martin Schulz sehr gut. "Ich will Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden", sagt er allen schlechten Umfragewerten zum Trotz. Er hat Merkel auch schon den Job der Vizekanzlerin in einer rot-schwarzen Koalition angeboten.

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Martin Schulz am Freitag in Berlin
Foto: REUTERS/Michaela Rehle

Doch man kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass daraus nichts wird, die SPD liegt einfach zu weit hinter der Union. Es bliebe für Schulz noch eine Option, nämlich ein rot-rot-grünes Bündnis mit Grünen und Linken. Aber für dieses sehen die Meinungsforschungsinstitute keine Mehrheit. Paradox: In den vergangenen vier Jahren hätte es eine parlamentarische Mehrheit für dieses Bündnis gegeben, aber es fehlte der Mut zur Umsetzung.

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Die AfD steht vor dem Einzug in den Bundestag. Die Spitzenkandidaten: Alice Weidel und Alexander Gauland.
Foto: AP

Man kann also davon ausgehen, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Die Frage ist nur: Mit wem wird sie regieren? Merkel selbst äußert sich dazu nicht. Sie hat einmal die FDP den "natürlichen Koalitionspartner" der Union genannt. Doch hinter vorgehaltener Hand heißt es in Berlin, Merkel habe eigentlich gar nichts gegen eine Fortsetzung der großen Koalition in ihrer vierten Amtszeit.

Es wäre dann ihre dritte Zusammenarbeit mit der SPD. Die erste erfolgte von 2005 bis 2009, dann kamen die schwarz-gelben Jahre mit der FDP, ab 2013 bildete Merkel die aktuelle "GroKo". Merkel wird ohnehin spöttisch die beste sozialdemokratische Kanzlerin, die Deutschland je hatte, genannt.

SPD-Basis rebelliert

Schließlich hat sich Merkel im Laufe der Jahre viele Positionen der SPD zu eigen gemacht: Aussetzung der Wehrpflicht, Einführung des Mindestlohns, Ausbau von Kindergärten. Zum Schluss gab sie – auf Druck der SPD – sogar ihren Widerstand gegen die Ehe für alle auf.

Wahlkampfthema Pensionssystem

Die Union vertagt die Pensionsfrage, sie schlägt in ihrem Wahlprogramm eine parteiübergreifende Kommission vor, die bis 2019 Vorschläge erarbeiten soll. Nicht unähnlich verhält es sich bei der AfD. Sie gibt zu, überhaupt kein Konzept für die Sicherung der Pensionen zu haben. Die SPD will das Rentenniveau (Verhältnis zwischen Pension und Aktivgehalt), das derzeit bei 48 Prozent liegt, bis mindestens 2030 garantieren. Der Beitragssatz von derzeit 18,7 Prozent soll dabei nicht über 22 Prozent steigen. Dafür sollen Steuermittel eingesetzt und auch Selbstständige zur Kasse gebeten werden. Eine Bürgerversicherung schwebt auch den Grünen und den Linken vor. Die Grünen wollen nicht, dass das Rentenniveau sinkt, die Linken wollen es auf 53 Prozent anheben. Aus Sicht der FDP können die Deutschen auch schon ab 60 in Pension gehen (statt 65), dafür muss allerdings garantiert sein, dass sie genug Pension bekommen, um nicht zum Sozialamt zu müssen.

Doch es ist mehr als fraglich, ob die Sozialdemokraten in eine neuerliche große Koalition einsteigen. Diesbezüglich gibt es zwei Denkschulen. Die einen sagen: Auch wenn wir nicht den Kanzler stellen, wir müssen auf jeden Fall mitregieren, um wenigstens ein paar rote Positionen durchsetzen zu können. Die anderen meinen: Wir müssen uns in der Opposition sammeln und regenerieren und dann 2021 die Wende mit Rot-Rot-Grün schaffen.

Vor dem Wiedereinzug in den deutschen Bundestag: Christian Lindner und die FDP.
Foto: APA/AFP/JOHN MACDOUGALL

Entscheidend wird ohnehin sein, was – im Falle des Falles – die Basis sagt. Sie soll, wie schon 2013, wieder die Zustimmung zum Koalitionsvertrag geben. "Viele unserer Mitglieder wollen nicht mehr Juniorpartner unter Merkel sein, sie haben Angst, dass wir dann bei der nächsten Wahl hinter der AfD landen", sagt ein führendes SPD-Mitglied.

Dreierbündnis möglich

Aber möglicherweise muss es ja gar nicht zur Fortsetzung der großen Koalition kommen, weil sich ein anderes Bündnis findet. Hoch im Umfragekurs steht ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen. Benannt wurde es nach den Farben der jamaikanischen Flagge (Schwarz, Gelb, Grün). Es ist in den letzten Umfragen neben der großen Koalition eine rechnerische Möglichkeit. Und es wäre ein Novum auf Bundesebene.

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Sarah Wagenknecht von den Linken am Freitag.
Foto: dpa-Zentralbild/Britta Pedersen

"Ich kann meiner Bundespartei berichten, dass ein solches Bündnis funktioniert, wenn die Menschen, die daran beteiligt sind, einander vertrauen", sagt Daniel Günther. Der CDU-Mann ist Ministerpräsident in Schleswig-Holstein und der erste Regierungschef in Deutschland, der (seit Ende Juni) mit einem Jamaika-Bündnis regiert.

Doch bis zu karibischem Flair dürfte in Berlin ein weiter Weg sein. Zwar gibt es in grundsätzlichen Fragen zwischen den drei Parteien Übereinstimmungen. Sie alle sind proeuropäisch. Der Atomausstieg, der lange Zeit als Hürde vor einer schwarz-grünen Zusammenarbeit stand, ist auch nicht mehr das große Thema.

Wahlkampfthemen Steuern und Klima

Es ist nichts Neues: Vor der Wahl versprechen alle Parteien Entlastungen für kleinere und mittlere Einkommen. SPD, Linke und Grüne wollen zur Gegenfinanzierung den Spitzensteuersatz anheben und auch eine Vermögenssteuer einführen, Union und FDP sind dagegen. Die AfD will die Erbschaftssteuer abschaffen und die Mehrwertsteuer von 19 auf zwölf Prozent senken. Ein Konzept zur Gegenfinanzierung liegt aber nicht vor.

Alle Parteien, außer der AfD, bekennen sich zum Pariser Klimaabkommen. Die FDP setzt zur Erreichung auf weltweiten Emissionshandel, SPD, Grüne und Linke wollen, dass Deutschland in den nächsten Jahrzehnten den Ausstoß von Treibhausgasen massiv verringert. Die Grünen wollen die zwanzig schmutzigsten Kohlekraftwerke in Deutschland rasch abschalten.

Doch im Detail hakt es vor allem zwischen der FDP und den Grünen. So fordern die Grünen schärfere staatliche Vorgaben, um eine Senkung der Treibhausgase zu erreichen, die FDP will der Wirtschaft nicht zu viele Fesseln auferlegen. "Wenn man mehr Klimawandel haben will, dann wählt man die FDP", ätzt die grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. Umgekehrt lehnt die FDP eine Mietpreisbremse und die Einschränkung der Leiharbeit ab.

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Einig in München: Angela Merkel und Horst Seehofer am Freitag.
Foto: REUTERS/Michaela Rehle

CSU-Sorge um das Auto

Und da gäbe es im Bündnis ja auch noch die CSU, die 2018 in Bayern bei der Landtagswahl die Absolute verteidigen will. Zwar kann sie mit der FDP, hat aber mit den grünen Autoplänen ihre Probleme. Sie will dem Verbrennungsmotor noch nicht so schnell Ade sagen wie die Grünen.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer warnte im Wahlkampf vor einer "Hexenjagd gegen das Automobil" und legte schon mal ein paar rote Linien für etwaige Verhandlungen fest: "Ein Verbot des Verbrennungsmotors legt die Axt an die Wurzel unseres Wohlstands. Das ist in Koalitionsgesprächen für die CSU genauso wenig verhandelbar wie Steuererhöhungen, eine Erleichterung der Zuwanderung und eine Lockerung der Sicherheitspolitik."

Das Grüne Spitzenduo Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt.
Foto: APA/dpa/Kay Nietfeld

Hingegen erklärt Göring-Eckardts Co-Spitzenkandidat Cem Özdemir, die Grünen würden keine Koalition eingehen, "die nicht das Ende der Ära des fossilen Verbrennungsmotors einleitet und den Einstieg in den abgasfreien Verkehr schafft".

Persönliche Vorbehalte

Es gibt auch persönliche Vorbehalte. So sehen vor allem CSU- und FDP-Mitglieder viele Grüne immer noch als "spinnerte Ökos". Und in den Augen mancher Grüner sind CSU-Politiker vor allem "schwarze Sheriffs" und FDP-Leute kaltherzige Marktliberale.

Wahlkampfthemen Asyl, Sicherheit und Migration

Es war das große Thema der ablaufenden Legislaturperiode. Die schärfsten Pläne kommen von der AfD, sie will die Grenzen schließen und auch das individuelle Recht auf Asyl abschaffen, es soll zudem keinen Familiennachzug mehr geben. Für diesen sprechen sich Linke, Grüne und SPD aus, die Union überlegt noch. Nach wie vor fordert die CSU eine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr. Die FDP will ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild. Mittels eines Punktesystems sollen vor allem qualifizierte Einwanderer nach Deutschland geholt werden.

Alle Parteien haben in diesem Wahlkampf die Polizei entdeckt und wollen diese stärken. Konkrete Zahlen nennen Union und SPD, die 15.000 neue Stellen versprechen. Die Union will zudem auch die Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei im Inneren einsetzen, das lehnen aber SPD, Grüne und Linke ab. Die SPD tritt für ein europäisches Anti-Terror-Zentrum ein, die FDP will ebenfalls besser auf internationaler Ebene kooperieren. Die Linke will zunächst den Einsatz von V-Leuten beenden und schließlich auch den Verfassungsschutz abschaffen. Auf dem AfD-Plan steht der einfachere Zugang zum Waffenschein.

Sollten die Grünen hinter ihren Erwartungen zurückbleiben, dann kämen wohl Özdemir und Göring-Eckardt unter Beschuss. Die beiden sind aber ausgewiesene Realos. Macht sich an der grünen Basis der Wunsch nach einem Schritt nach links breit, wäre Jamaika noch schwieriger.

Klar wäre die Rolle Merkels in einer Jamaika-Koalition. Sie würde das tun, was sie auch schon in der großen Koalition gemacht hat: über den Dingen stehen und das Zusammenspiel der anderen moderieren. (Birgit Baumann, 24.9.2017)