Charles Bradley 1948–2017.

Foto: Chris Edwards

Seine Biografie glich einem Märchen, das sich erst spät zum Guten wendete, sehr spät. Charles Bradley musste 62 Jahre alt werden, bis ihm gelang, wovon er seit 1962 geträumt hatte. Damals hatte er James Brown im Apollo in New York gesehen. Da war es um ihn geschehen. So singen können, das wollte er auch. Doch bis sich der Traum erfüllen sollte, musste der am 5. November 1948 in Florida geborene Sänger noch einen weiten Weg gehen. Er führte ihn entlang der untersten Stufen der sozialen Leiter. Seine Mutter schob Charles zur Großmutter ab, die zog ihn in New York groß, bis er türmte.

Charles Bradley zog durchs Land, lebte in Kanada, in Alaska, in Kalifornien, verdingte sich als Tagelöhner oder als Koch in billigen Restaurants. In Kalifornien gab er in den 1970ern erste Auftritte als James-Brown-Impersonator in kleinen Clubs. Singen, das war klar, das konnte er, so etwas wie eine Karriere war jedoch nicht in Sicht.

"Black Velvet"

Zwanzig Jahre später rief ihn seine Mutter zu sich, er sollte bei ihr in New York leben, Bradley nahm jeden Job, den er kriegen konnte – und ergriff jede Möglichkeit zu singen. Als "Black Velvet" machte er sich einen bescheidenen Namen, dann entdeckte ihn Gabriel Roth.

Der Gründer des Daptone-Labels wollte klassischen Soul produzieren, doch es sollte noch dauern, bis Bradley an der Reihe war. 2002 begann Bradley mit dem ebenfalls aus dem Daptone-Kreis stammenden Produzenten und Musiker Tom Brenneck zu spielen, es entstand eine Handvoll Singles, doch erst 2011, Bradley war 62 Jahre alt, erschien sein Debütalbum "No Time For Dreaming". Es wurde ein Welterfolg.

"No Time For Dreaming" ließ den klassischen Soul der Südstaaten wiederauferstehen und hatte mit Bradley einen Mann, der seine Sujets mit Leben erfüllte, wie nur jemand mit seiner Biografie es konnte. Er sang Geschichten von ganz unten, aus dem Leben, das er kennengelernt hatte. Mit einer Intensität, die sonst nur auf Tondokumenten von früher zu hören war.

Historischer Zufall

Bradley wurde mit den größten des Fachs verglichen, seine Auftritte rechtfertigten sie allesamt, seine Themen prädestinierten ihn für die Occupy-Bewegung – ein historischer Zufall, der Bradleys Kunst zusätzliche Aufmerksamkeit einbrachte.

Im Jahr 2012 erschien die Dokumentation "Soul Of America", die Bradleys Leben erzählte. Sie zeigte einen demütigen Star, der noch gar nicht wirklich realisiert hatte, was ihm gerade widerfuhr. Er tourte um die Welt, spielte in den größten Häusern. Die beiden Folgealben "Victim of Love" (2013) und "Changes" (2016) erreichten zwar nicht die Qualität seines Debüts, an seinem Triumph änderte das nichts.

Der Hip-Hop sampelte seine Songs, Bradley lieh seine Reibeisenstimme verschiedenen TV-Serien, seine Songs wurden von diesen verwendet, das Publikum liebte den Mann, und er liebte es zurück, warf sich auf seine (von Schützern gepolsterten) Knie und entführte es in die emotionalen Stürme des Deep Soul.

Vergangenen Herbst erkrankte Bradley an Magenkrebs, der schien erst besiegt, doch er hatte sich nur verlagert. Am Samstag ist Charles Bradley im Alter von 68 Jahren an Leberkrebs gestorben. (Karl Fluch, 23.9.2017)