Gene Clark

Foto: NW Film Center

"Unknown Pleasures", der Titel dieses Blogs, ist eine Herausforderung. Wie schon im ersten Eintrag erwähnt, liegt ja vieles offen, dem Netz sei's gedankt, doch finden muss man es. Der Bekanntheitsgrad des heutigen Albums ist schwer einzuschätzen. Für manche Musikliebhaber ist es ein Klassiker, viele kennen es gar nicht. Das passt zum Blog, und das passt zu diesem mysteriösen Werk. Dank an Niko K., bei dem Weg, der es mir einst mit einem fanatisierten Referat angetragen hat. Was wäre eine Religion ohne Missionare?

"No Other" ist ein tragisches Album. Die Melancholie liegt tonnenschwer auf vielen Songs, der Umstand, dass es kommerziell durchfiel, trug anschließend zur Gemütsschwere seines Schöpfers bei: Gene Clark, dem Genie der Byrds.

Lampenfieber und Schnaps

Nachdem er bei der immens erfolgreichen Band ausgestiegen war, kam Clark als Solokünstler nicht so richtig in die Gänge. Schuld daran war wesentlich seine Unlust zu touren und live zu spielen. Stichwort Lampenfieber, das er mit Hochprozentigem wegtat, was ihm gleichzeitig sein Vermögen nahm, präzise zu spielen.

Das machte es seinen Labels schwer, ihn zu vermarkten – worunter er litt wie ein Hund. In "No Other" gipfelten Unvermögen, Unwillen und Unglück, erst nach seinem frühen Tod 1991 mit nur 46 Jahren erfuhr es stückweise Gerechtigkeit, erkannte eine sich langsam vergrößernde Öffentlichkeit die visionäre Kraft und überbordende Schönheit dieses Albums. Sogar sein Grabstein erinnert daran.

Gene Clark – "No Other" im Herzen.

1974 aber, als es erschien, war die Welt dafür nicht bereit. David Geffen, Chef von Asylum Records, hasste es. Es soll zwischen Clark und Geffen deswegen fast zum Faustkampf gekommen sein, nur ein Jahr nach Erscheinen, das ohne PR-Aktivitäten seitens des Labels verging, strich Geffen es aus dem Katalog. Unsummen hatte seine Herstellung verschlungen, kein Hit war drauf, weg damit.

Gene Clark war damals ein Fixtstern der Westcoast-Szene – Crosby, Stills, Nash und Young, die ganze Laurel-Canyon-Großfamilie sowie diverse Drogenfresser aus Hollywood bildeten sein Soziotop. Anfällig für alles, was süchtig macht, nahm er sich selbst aus dem Spiel und zog nach Nordkalifornien und war dort weitgehend trocken und nüchtern. In Mendocino soll er in seinem Haus gesessen sein, den Blick auf den Pazifik gerichtet, und an "No Other" gearbeitet haben.

Drogen im Studio

Die Gene-Clark-Biografie "Mr. Tambourine Man" von John Einarson entmystifiziert vieles um das Album, bricht es auf die anstrengende, Unmengen an Geld verschleißende Produktion herunter, ist also irgendwie Gift für die Magie des Werks. Aber gut, Biografien sollen Fakten und nicht Mythen schaffen.

Auch soll das Album nicht im Drogennebel entstanden sein. Erst wenn Clark runter nach Los Angeles jettete, sei er in Versuchung geführt worden, was seine Frau dazu veranlasste, die beiden Kids von dem Milieu fernzuhalten und wieder rauf nach Mendocino zu fahren. Es heißt, das Kleinkind eines Musikers musste ins Spital, weil es im Studio herumliegende Drogen eingenommen habe, daraufhin brachte Clarks Gattin die ihren in Sicherheit.

Byrds Reunion

"No Other" ist eine Mischung aus Countryrock und Soul, angereichert um Versatzstücke aus dem Gospel und jede Menge undefinierbare Seltsamkeit. Nach einer Byrds-Reunion, die 1973 ein titelloses Album zeitigte, nahm Clark den Faden dort auf. Das Reunionalbum war eine halbherzige Angelegenheit – nur Clark kniete sich voll rein, seine Interpretationen von Neil Youngs "Cowgirl In The Sand" und "(See The Sky) About To Rain" markieren die Höhepunkte.

Der Young'sche Einfluss übertrug sich auf "No Other", der Song "Strength Of Strings" zitiert Youngs "Cowgirl ..." überdeutlich, ja, man vermeint sogar Youngs Song "Words" ebenfalls durchklingen zu hören. Clark dehnt sein Lied über sechs Minuten und verleiht ihm damit eine epische Qualität. Etwas, das zwei Songs weiter in das gigantische "Some Misunderstanding" mündet.

Beide Songs offenbaren den Soulsänger Gene Clark, seine Phrasierung hebt einem die Poren. Klavier und Orgel tragen diese Titel gen Himmel, dazu kommt eine Gitarre, die stellenweise an Claptons ausuferndes Outro von "Layla" erinnert – ohne dass ich das nachprüfen möchte.

"Strength Of Strings" – Neil Youngs Einfluss ist nicht zu überhören.
keef

"Some Misunderstanding" – ein Titel wie eine Diagnose für das Album damals – schraubt Clark auf acht Minuten hoch. Es ist schon deshalb das herausragende Stück, dennoch ist "No Other" ein Gesamtkunstwerk. Zwar umfasst es nur acht Songs, doch die ergeben ein fantastisches Narrativ. Im Vergleich zu diesen elegischen Dramen erscheinen Songs wie "The True One" in ihrem klassischen Countryrock-Kostüm vergleichsweise konventionell.

"Some Misunderstanding" – das epische Zentrum dieses Albums.
Paddy Sullivan

Doch schon bei dem aus derselben Lade stammenden Opener zeigt sich, dass Clark sie ein Stück weiterdreht. Im Eröffnungssong ist es der Damenchor, der etwas seltsam Spirituelles verströmt. Country und Gospel – schwierig. Doch nicht bei Gene Clark, der fädelt das mit großer Verve ein.

"Life's Greatest Fool" – der Opener des Albums.
DustyRoadBoy

"Silver Raven", ein erster Schritt ins Obskure, verdankt seinen Titel wiederum ganz banal silbernen Plattformschuhen von Clarks Frau Carlie. Der Titelsong besitzt dann gar einen abgespacten Funk – angeblich trieb sich Sly Stone im Studio herum, auch mit einem durch den Wind geblasenen Joe Cocker gab es während der Aufnahmen fast eine Schlägerei.

Der Titelsong des Albums "no Other" – Spacefunkster Sly Stone soll zur selben Zeit durch das Studio gegeistert sein. Glaubt man sofort.
sydmanus09

Produziert hat das Album Thomas Jefferson Kaye. Nachdem es am Markt durchgefallen und aus dem Katalog gestrichen worden war, überlebte es als obskures Werk, das erst über diverse Wiederveröffentlichungen seine Bekanntheit steigerte. Empfohlen sei die Neuauflage von Four Men With Beards, die die LP mitsamt dem Original-Sheet 2012 aufgelegt haben. Ebenso die 2003 erschienene, remasterte und um einige Demos angereicherte CD-Version von Warner. Sie hält mit dem beseelten Train "Leaves Here This Morning" einen satten Bonus bereit, auch die Demos sind Gold.

Späte Würdigungen

Clark hat sich nie vom Misserfolg von "No Other" erholt. Er lebte hauptsächlich von seinen Byrds-Tantiemen. Die gaben genug her, um eine Crack-und Alkoholabhängigkeit zu finanzieren, die Clarks Gesundheit am Ende ruinierte.

"No Other" leuchtet immer noch. "Some Misunderstanding" haben zuletzt die Soulsavers mit Mark Lanegan weitgehend werkgetreu gecovert. Mitglieder der Fleet Foxes, Grizzly Bear, Walkmen und Beach House tourten als No-Other-Band 2014 mit einer Aufführung des Albums, um es einer neuen Generation nahezubringen.

Man kann es sich aber einfach auch im Original anhören. Denn besser wird’s nicht. (Karl Fluch, 26.9.2017)