Das Lager Moria auf Lesbos ist für 2330 Flüchtlinge gedacht, tatsächlich wird es von 4470 belegt. Samstag kamen 146 an.

Foto: AFP / Louisa Gouliamaki

Donnerstags ist meist Deportationstag. Dann steuert eine Fähre von Mytilini, dem Hauptort auf der griechischen Insel Lesbos, eine halbe Stunde nach Dikili, der nächstgelegenen Hafenstadt an der türkischen Küste. Die Zahl der Flüchtlinge, die bewacht von Beamten der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex zurück in die Türkei gebracht werden, ist klein. 29 Menschen waren es bisher in diesem Monat, 16 im August. Das könnte sich nun ändern.

Seit der Staatsrat in Athen, das höchste Gericht in Griechenland, das auch in Verwaltungsfragen entscheidet, vergangenen Freitag ein lange hinausgezögertes Urteil fällte, ist der Weg zur Massenabschiebung von den griechischen Inseln frei. Mehr als 13.000 Menschen sitzen dort in überfüllten Lagern fest, manche schon seit eineinhalb Jahren. Und jeden Tag werden es nun mehr, denn das Geschäft der Schlepper läuft seit dem Sommer wieder gut.

Gefahr am eigenen Leib

Die Europäer, die im März 2016 das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei geschlossen hatten, haben sich das anders vorgestellt. Migranten, die auf illegalem Weg über das Meer von der Türkei auf die griechischen Inseln gelangen, können zwar einen Antrag auf Asyl stellen – so war die Idee. Bewilligt wird er von den griechischen Behörden aber nur noch in Notlagen. Oder wenn ein Flüchtling nachweisen kann, dass ihm in der Türkei Gefahr für das eigene Leben drohe.

Alle anderen werden wieder zurück zur türkischen Küste gebracht. Für die Flüchtlinge soll die Türkei Endstation sein – das ist die Prämisse des Abkommens. So haben es die griechischen Richter nun auch in einer Klage zweier Syrer entschieden: Die Türkei ist ein sicherer Drittstaat.

Rechtlich wie politisch ist das Urteil gleichwohl heikel angesichts der Menschenrechtslage in der Türkei. Die Auslieferung von acht türkischen Soldaten hatte ein Richtergremium in Athen im vergangenen Jahr noch abgelehnt; die Soldaten waren nach dem Putsch im Juli 2016 mit einem Hubschrauber nach Griechenland geflüchtet.

Zurück nach Syrien

Amnesty International kritisiert jetzt das Grundsatzurteil bezüglich des sicheren Drittstaats Türkei. Griechenland und die EU sollten keine Asylwerber und Flüchtlinge in ein Land zurücksenden, in dem diese keinen wirksamen Schutz haben, hieß es in einer Stellungnahme der Menschenrechtsorganisation. Amnesty dokumentierte Fälle, in denen syrische Kriegsflüchtlinge gegen ihren Willen von türkischen Sicherheitskräften zurück nach Syrien gebracht wurden. Die Amnesty-Direktorin in der Türkei, Idil Eser, ist derzeit zudem zusammen mit fünf anderen Menschenrechtlern in Haft.

Der Grund für die bis jetzt nur schleppend laufende Abschiebung von Flüchtlingen liegt in der Dauer der Asylverfahren bei der zuständigen griechischen Behörde, aber offensichtlich auch in Vorbehalten gegenüber der Türkei. So war bisher kein einziger syrischer Flüchtling, dessen Asylantrag abgelehnt wurde, unter den seit März 2016 von den Inseln zurückgeführten 1.896 Migranten.

Antrag zurückgezogen

Abgeschoben wurden vielmehr Menschen, denen die griechischen Asylrichter wirtschaftliche Motive für die Flucht zuschrieben: Migranten aus Bangladesch, Pakistan und Nordafrika vor allem. Wie andere Insassen in den Lagern gaben auch manche Syrer und Afghanen zermürbt auf und zogen ihren Asylantrag zurück.

Die griechische Asylbehörde veröffentlicht die Zahl der bisher in zweiter, letzter Instanz abgelehnten Asylwerber nicht und blieb auch auf schriftliche Nachfrage eine Antwort schuldig. Die Unruhe in den Lagern auf den Inseln soll nicht noch geschürt werden, so darf man mutmaßen.

Die EU-Kommission allerdings protokolliert diese Zahl regelmäßig. Aus ihrem jüngsten Bericht über die Umsetzung des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei von Anfang September geht hervor, dass bisher 1.695 Asylanträge auf den Inseln in letzter Instanz abschlägig beschieden wurden. Dazu kommen mehr als 1.000 erfolglose Asylwerber, die nicht in die zweite Instanz gingen.

Mittlerweile tauchte ein neues Problem auf: Abgelehnte Asylbescheide müssen den Antragstellern zugestellt werden. Das erweist sich mitunter als schwierig, denn ein Teil dieser Flüchtlinge ist offenbar verschwunden oder muss erst lokalisiert werden.

Anfang des Monats führte die griechische Polizei im Lager Moria auf Lesbos sowie auf Chios Razzien durch. Festgenommene Flüchtlinge steckt sie in bewachte Abschiebebereiche in den Lagern; diese gibt es mittlerweile in Moria und auf der Insel Kos. Wie lange sich die Türkei an das Flüchtlingsabkommen hält, ist freilich offen. (Markus Bernath aus Athen, 26.9.2017)