Wien – Als "Erdberger Kind" bezeichnet sich Heinz-Christian Strache, der im dritten Wiener Gemeindebezirk in der Keinergasse aufgewachsen ist. Die Keinergasse liegt direkt an der U3-Station Kardinal-Nagl-Platz. Der Rabenhof samt Rabenhoftheater sowie das Herz-Jesu-Krankenhaus sind gleich in der Nähe. Im dritten Bezirk befinden sich das Hundertwasserhaus, das Schloss Belvedere und das Botschaftsviertel. Die russische und die chinesische Botschaft residieren hier unter anderem. Der blaue Parteichef ist nach wie vor auch Obmann der FPÖ Landstraße, erst Ende September wurde er in dieser Funktion – einstimmig – bestätigt.

Strache erinnert sich an die Gegend, in der er aufgewachsen ist. Video: Maria von Usslar.
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Seit der Eröffnung der U-Bahn-Station im Jahr 1991 wurde die Gegend stetig aufgewertet. Hübsche Gründerzeitbauten mit perfekt sanierten Fassaden und solide Neubauten prägen heute die Keinergasse, eine Seitengasse der Landstraßer Hauptstraße. Dank der Einbahnregelung ist die Straße relativ ruhig.

Eigentum ist hier so wie in den allermeisten Ecken Wiens für Durchschnittsverdiener kaum erschwinglich. Auf dem Markt ist derzeit etwa eine 55 Quadratmeter große Wohnung mit Balkon um 380.000 Euro. Das war nicht immer so. Als Strache in den 70er-Jahren hier groß wurde, handelte es sich um eine billige Wohngegend. Mit den Gastarbeitern seien auch die Knoblauchgerüche aufgetaucht. Gasthäuser mussten den Kebablokalen weichen, erzählte er den Autorinnen Nina Horaczek und Claudia Reiterer, die eine Biografie über Strache verfasst haben.

Alte, unrentable Bauten müssen in der Keinergasse weichen. Mit den hochpreisigen Neubauten ist auch eine neue Klientel im Grätzel eingezogen.
Foto: Katrin Burgstaller

Ein "Sozi" um 1,20 Euro

Vielleicht der prägnanteste Punkt ist das Gasthaus Gmiatliches Eck in der Keinergasse 4, gleich beim U-Bahn-Aufgang. Hier betreibt Anita Latschein ihr Beisl, das durch ausgefallene Dekoration – vorzugsweise Puppen – auffällt. Am 30. April wird hier der letzte Gast seine Zigaretten ausdämpfen. Ab 1. Mai gilt nämlich das Rauchverbot in allen Gaststätten.

Sie hofft, dass ihr die Gäste weiterhin treu bleiben und den Schanigarten zum Rauchen nutzen. Ein "Sozi" – ein Soda Zitrone – kostet hier 1,20 Euro, der weiße Spritzer ist um 1,90 Euro zu haben. "Weil ich keine Angestellten habe", erklärt Latschein ihre moderaten Preise.

1991 wurde die U3-Station Kardinal-Nagl-Platz eröffnet.
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Hans Girlinger ist Stammgast im Gmiatlichen Eck. Seit 20 Jahren wohnt er in der Gegend. Am deutlichsten habe sich in dieser Zeit der Wohnungsmarkt verändert. "Es ist unglaublich schwierig für junge Menschen, im dritten Bezirk eine Wohnung zu finden. Viele meiner Freunde sind weggezogen, weil sie gesagt haben, sie können sich den dritten Bezirk nicht mehr leisten", erzählt Girlinger, der sich als KPÖ-Anhänger deklariert.

Das Wunschdenken der Abgehängten

Dass sich viele bedroht fühlen vom sozialen Abstieg, ist für ihn nachvollziehbar. "Für gewissen Menschen ist es eine Problem, eine kaputte Waschmaschine zu ersetzen. Man sieht, wie viele in Sozialmärkte einkaufen gehen müssen."

Bei den Betroffenen ortet Girlinger allerdings eine "gewisse Art von Schizophrenie", würden doch viele von ihnen die FPÖ wählen, obwohl diese gegen Erbschaftssteuern ist und stattdessen die Industrie entlasten will. "Dass die Geld aufstellen können für den kleinen Mann, halte ich für undenkbar", sagt Girlinger. Wunschdenken bringe sozial Abgehängte dazu, ihr Kreuzerl doch bei Straches Partei zu machen.

Wie es ist, mit wenig Geld auskommen zu müssen, hat Strache als Kind selbst erlebt. Nicht nur wenig Geld, auch wenig Zeit gab es für das Kind im Hause Strache. Weil seine alleinerziehende Mutter, eine Drogistin, oft bis nach 18 Uhr arbeiten musste, ist er "mit sechs Jahren, sehr jung", ins Internat in der katholischen Neulandschule in Favoriten gekommen, so Strache. Der Vater hatte sich nie um seinen Sohn gekümmert. Nur am Wochenende kehrt er heim zur Mutter in die Keinergasse. Im Gmiatlichen Eck habe sie Strache übrigens nie getroffen, erzählt die Wirtin.

Maulkorb für FPÖler

Wer die Gesellschaft mit blauen Politikern sucht, kann sein Glück im Bierpub im Rabenhof versuchen. Fast 20 Herren haben hier die Budl in der Mitte des kleinen Raums umzingelt. Die Chefin, eine fröhliche Wirtin aus Ungarn, feiert demnächst ihr 21-jähriges Jubiläum als Pub-Inhaberin im Rabenhof. Als sich DER STANDARD vorstellt und die Runde fragt, ob jemand über das Leben hier in der Gegend sprechen möchte, herrscht betretenes Schweigen.

"Thommy" outet schließlich einen Gast: "Da können Sie gleich mit dem Obmann der FPÖ Landstraße sprechen." Es ist der geschäftsführende Parteiobmann und Landtagsabgeordnete Dietrich Kops, der sich an diesem Herbstnachmittag mit einigen Mitstreitern eingefunden hat. "Wir geben keine Interviews. Und schon gar nicht dem STANDARD", ruft er. Seine Adjutanten, die mit dem STANDARD dann doch vor dem Lokal ins Gespräch kommen, weist er zurecht: "Kommts eina do, wir geben keine Interviews."

Thomas Nemeth ersucht, die Intelligenz und die Integrität der FPÖ-Wähler nicht infrage zu stellen.
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Nach Kopps Abgang – er hat die FPÖ Landstraße überregional mit Positionen im äußerst rechten Spektrum bekannt gemacht – fasst sich Mitstreiter Thomas Nemeth doch ein Herz und kommt mit dem STANDARD ins Gespräch. Er wohne seit über 20 Jahren am Kardinal-Nagl-Platz, direkt bei einem Fußballplatz. Lärmende Jugendliche machen ihm oft zu schaffen.

"Intelligenz der FPÖ-Wähler nicht infrage stellen"

Gefragt, warum viele FPÖ-Anhänger eigentlich akzeptieren, dass die Blauen etwa die Erbschaftssteuer ablehnen, meint er, die Erblasser hätten ja bereits Steuern bezahlt. Außerdem seien andere Fragen für FPÖ-Wähler wichtiger. Zum Beispiel beschäftigt viele Menschen, dass die Zuwanderer "Probleme mit unserer Kultur" haben. Er wolle nicht, dass seine Frau ein Kopftuch trägt. "Und ich möchte nicht, dass ich fünfmal am Tag den Hintern in die Höhe heben muss."

Foto: Katrin Burgstaller

Was Nemeth stört, ist, dass Kurz "wie ein Papagei" Ideen der FPÖ übernehme. "Da schreien sie nicht Nazi und Rassist. Die Freiheitliche Partei ist eine Partei wie jede andere, und man darf die Intelligenz und die Integrität der Menschen in diesem Land nicht infrage stellen, nur weil sie die FPÖ wählen."

Nemeth ist übrigens Straßenbahnfahrer und Stimmenimitator. Dem STANDARD führt er seine Künste vor (siehe Video) und versucht zumindest den Altbürgermeister Helmut Zilk zum Leben zu erwecken: "Wenn die Wahlen san, wöhts die richtigen Leit, und die Besten gewinnen." (Katrin Burgstaller, 27.9.2017)