Wien/Tiflis – Es war ein langes, ein sehr langes Turnier. Am 3. September hatten Lewon Aronjan und Ding Liren im georgischen Tiflis die ersten Züge ihrer jeweiligen Erstrundenpartien aufs Brett gestellt. Dreieinhalb Wochen und sechs gewonnene Mini-Matches später saßen sich die beiden Supergroßmeister diesen Mittwoch am Finaltisch des K.o.-Turniers gegenüber, um den Sieg bei dem für beide wichtigsten Event des Jahres im Tiebreak unter sich auszumachen.

Kandidaten in Berlin

Der Weltschachbund in seiner unergründlichen Weisheit aber will es so, dass schon vor dem Finalmatch des Worldcup die wichtigste Entscheidung gefallen ist: Beide Finalisten qualifizieren sich nämlich automatisch für das von 10. bis 28. März 2018 in Berlin ausgetragene Kandidatenturnier, in dem jener Spieler ermittelt wird, der im Herbst 2018 Weltmeister Magnus Carlsen herausfordern darf. Neben Aronjan, Ding und Vizeweltmeister Sergei Karjakin werden noch fünf weitere Spieler in Berlin an den Start gehen, die Plätze dafür werden in den kommenden Monaten vergeben.

Aronjan und Ding lösten ihre Tickets für das Kandidatenturnier mit Halbfinalerfolgen über Maxime Vachier-Lagrave und Wesley So. Beide mussten dabei über das Tiebreak gehen, Aronjan benötigte gar die einzige Sudden-Death-Blitzpartie des gesamten Turniers – er musste mit Weiß gewinnen und tat es auch –, um seinen französischen Kontrahenten zu bezwingen. Das Turnierziel war somit erreicht, im Finale ging es neben der Ehre immerhin noch um den Unterschied zwischen 120.000 (Sieger) und 80.000 US-Dollar (Zweitplatzierter).

Mit Schwarz am Drücker

Während andere Spitzensportler für diesen Streitwert wohl nicht einmal zu einem Fototermin aufkreuzen würden, lieferten Ding und Aronjan sich vier Tage lang ein sehenswerten Ringen, dessen Ergebnis dem Gehalt der Partien nicht ganz gerecht wurde: Trotz der vier Remisen war Lewon Aronjan in seinen beiden Schwarzpartien ordentlich am Drücker, nur zähes Defensivschach der Marke Karjakin ließ seinen chinesischen Gegner beide Male den Remishafen und damit das Finaltiebreak erreichen.

Im Schnellschach konnte der Armenier seine Feldüberlegenheit schließlich in Zählbares ummünzen. Zuerst gewann Aronjan seine Weißpartie in überzeugendem Stil durch einen zwingenden Königsangriff. Dann verteidigte er sich mit Schwarz erfolgreich gegen Dings Bestrebungen, den Score auszugleichen und das Match noch einmal in die Verlängerung zu schicken. Aronjan konterte Dings Angriff mit nur noch drei Minuten auf der Uhr geschickt und setzte dem weißen König so sehr zu, dass der Chinese im 33. Zug ein weiteres Mal die Waffen strecken musste.

Aronjans zweiter Triumph

4:2 für Lewon Aronjan, der den Worldcup damit zum zweiten Mal nach 2005 gewinnt und nun als einer der Favoriten auf den Sieg beim Kandidatenturnier gelten muss. In dieser Rolle fand sich der sympathische Armenier allerdings schon öfter wieder, bisher spielten ihm jedesmal die Nerven einen Streich, wenn es um die Qualifikation für das WM-Finale ging. Ob der 34-Jährige, der inzwischen schon zu den alten Hasen des Schachsports zählt, diesen Fluch in seiner Wahlheimat Berlin wird abschütteln können, es wird sich weisen.

Auch auf Ding Lirens Abschneiden im Kandidatenturnier darf man gespannt sein. Die aktuelle Nummer 13 der Weltrangliste ist der erste Chinese, der es in die Endausscheidung für ein WM-Finale geschafft hat. Das Spiel des erst 24-Jährigen wird zukünftig nicht nur in seiner Heimat mit großem Interesse verfolgt werden. Eine Fortsetzung des Schach-Booms in China scheint durch Dings Worldcup-Erfolg jedenfalls garantiert.

Carlsen auf der Insel

Und was tut inzwischen der Weltmeister? Der jettete nach seinem überraschend frühen Ausscheiden in Runde drei des Worldcup direttissima auf die Isle of Man, um am dortigen Open-Turnier teilzunehmen – das er nach vier Runden mit dreieinhalb Punkten standesgemäß anführt. Magnus Carlsen: "Ich wollte nach dem Worldcup einfach noch ein paar interessante Partien spielen." Schön, dass dem Norweger sein Beruf offenbar nach wie vor Spaß macht. (Anatol Vitouch, 28.9.2017)