Arno Dalpra: Je früher der Täter mit seinem Tun konfrontiert wird, umso einsichtiger ist er.

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Die Beratung und Betreuung von Opfern ist nach dem Sicherheitspolizeigesetz vorgeschrieben, Gewalttäter werden nach der Tat sich selbst überlassen. Der Gang zur Gewaltberatung ist freiwillig. Der Feldkircher Psychotherapeut Arno Dalpra leitet die Gewaltberatung des Instituts für Sozialdienste Vorarlberg. Er schlägt wie seine Berufskollegen bundesweit die Verpflichtung zur Beratung vor.

STANDARD: Wer kommt in die Gewaltberatung?

Dalpra: 75 Prozent unserer 600 Klienten sind sogenannte Selbstmelder. Sie kommen zu uns, weil sie sich ändern möchten. 15 Prozent werden über Gerichte, die Kinder- und Jugendhilfe oder die Bewährungshilfe zugewiesen. Zehn Prozent sind Täter, die nach einer Wegweisung kommen.

STANDARD: Welche Motive haben "Selbstmelder"?

Dalpra: Das wesentliche Motiv ist das Erschrecken über sich selbst. Sie schämen sich wegen ihrer Gewalttätigkeit. Ein weiteres Motiv ist, dass Familienmitglieder sich als wehrhafte Opfer zeigen, sich aus ihrer Situation lösen wollen. Die Täter haben Angst, die Menschen, die sie lieben, zu verlieren.

STANDARD: Warum kommt es immer wieder zu Gewalttaten durch Weggewiesene?

Dalpra: Jede Wegweisung ist eine massive Intervention in ein Familien- oder Paarsystem, das in dieser Zeit hochgradig gefährdet ist. Das von Gewalt betroffene System reagiert nicht rational, vielmehr entwickelt es eine Eigendynamik. Trotz Wegweisung ist nicht ausgeschlossen, dass sich Opfer und Gefährder weiterhin treffen. Das bleibt den Helfern oft verborgen.

STANDARD: Kann man das Risiko solcher Kontakte abschätzen, sollte man sie verhindern?

Dalpra: Kontakte würden auch trotz Untersagung stattfinden. Je nach Fall wird in Hochrisikokonferenzen über eine Gefährdung beraten, eine mögliche Prognose erarbeitet. Jede der beteiligten Einrichtungen kann eine solche Konferenz einberufen. Innerhalb von 24 Stunden finden die statt. Enge Zusammenarbeit ist vor allem wichtig, wenn Kinder involviert sind, sowie bei Gefährdern, die eine Auseinandersetzung mit der Tat verweigern.

STANDARD: Was passiert nach einer Wegweisung mit dem Täter?

Dalpra: Das Opfer wird sehr zeitnah durch Fachleute der Gewaltschutzeinrichtungen juristisch beraten und begleitet, das ist im Sicherheitspolizeigesetz so vorgesehen. Mit dem Täter kann ein zeitnahes Normverdeutlichungsgespräch geführt werden, in dem der Täter erfährt, wie sein Verhalten aus juristischer Sicht eingeschätzt wird. In manchen Fällen fragt die Polizei bei der Wegweisung, ob sie die Kontaktdaten an die Beratungsstelle weitergeben darf. Ein Drittel der Weggewiesenen stimmt zu. Über 50 Prozent kommen in die Beratung.

STANDARD: Sollte die Täterberatung zur Pflicht werden?

Dalpra: Ja. Wir regen die zeitgleiche Kontaktaufnahme seit langem an. Die Gefährder sollten möglichst zeitnah zur Tat, innerhalb von 72 Stunden, erreicht werden. Denn eine Aufarbeitung ist nur möglich, wenn das Bewusstsein da ist, etwas falsch gemacht zu haben. Je näher zur Tat, umso größer ist die Einsicht. Nur wer Verantwortung für sein Tun übernimmt, kann es auch verändern. Das konfrontierende Gespräch wird angenommen, das zeigt ein Projekt, das wir gemeinsam mit der Polizei durchführen.

STANDARD: Wäre es sinnvoll, die Täter wegzusperren?

Dalpra: Die Möglichkeit zur Untersuchungshaft besteht bereits, in den wenigsten Fällen rechtfertigt der vorhandene Tatbestand eine Inhaftierung.

STANDARD: Welche Möglichkeiten der Prävention sehen Sie?

Dalpra: Wir dürfen nicht vergessen: Gewalt ist ein unheimlich effektives, grausames Mittel, um eine Meinung durchzusetzen. Eine Gesellschaft, die Gewalt akzeptiert, fördert Gewalt. Dagegen müssen wir alle auftreten und ein klares Nein zu Gewalt sagen. Das Entsetzen allein genügt nicht. (Jutta Berger, 28.9.2017)