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Vom Biafra-Krieg mit 2,5 Millionen Toten können die Veteranen noch erzählen. Seit Monaten nimmt in der Region die Spannung wieder zu.

Foto: AP / Lekan Oyekanmi

Egal, nach welcher Telefonnummer man Yohanna Buru fragt: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Pastor und Mediator sie in einem seiner Handys gespeichert hat, ist groß. Im Norden Nigerias kennt er Imame ebenso wie Priester und Prediger, hat Kontakte zu Politikern und Leitern nichtstaatlicher Organisationen. Menschen zusammenzubringen und für einen Dialog zu sorgen, das ist seit Jahren seine große Aufgabe. Dabei ist er immer ruhig, besonnen und optimistisch. Doch nun klingt er wütend, wenn er über die Agitation in Nigeria spricht. "Die Situation hat ein Ausmaß erreicht, dass jeder Angst hat", sagt er.

Seit Monaten wird in Afrikas größtem Staat, in dem 186 Millionen Menschen leben, die mehr als 250 unterschiedlichen ethnischen Gruppen angehören, über eine mögliche Spaltung diskutiert. Bereits von 1967 bis 1970 kam es im Südosten zu einem Bürgerkrieg, in dem rund 2,5 Millionen Menschen starben. Die heutige Bewegung "Indigene für Biafra", kurz IPOB, führt Nnamdi Kanu an. Kanu ist vor allem für seine Hassbotschaften bekannt, schimpft gegen die Regierung und den muslimischen Norden. Seine Anhänger – die meisten sind Igbos – werfen auch dem Militär schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Vor gut zwei Wochen tauchten Foltervideos auf. Bis heute ist unklar, ob sie echt sind. Um IPOB zum Schweigen zu bringen, hat man die Bewegung Ende vergangener Woche zur Terrorgruppe erklärt, was bisher nur zu einer neuen Konfrontation geführt hat.

"Quit notice"

Doch Sorge macht längst nicht nur IPOB, sondern auch eine Aufforderung der Arewa-Jugend, eines Zusammenschlusses von Jugendorganisationen aus dem Norden. Sie sagte im Juni, dass alle Igbos die Region bis zum Unabhängigkeitstag am 1. Oktober verlassen sollen. Die "quit notice" war auch für Victor Dio Anawo Enjema, Präsident der Middle-Belt-Jugendorganisation, ein Schock. "Wie kann ein Nigerianer einem anderen Nigerianer, der die gleichen Rechte hat, nur sagen, er soll das Land verlassen?" Seine Organisation verurteilte wie viele weitere die Aussage.

Gerade Kaduna ist stets besonders anfällig für Ausschreitungen gewesen. Ob Scharia-Krise 2000, vermeintlich blasphemische Äußerungen über den islamischen Propheten Mohammed zwei Jahre später oder Unruhen nach der Präsidentschaftswahl 2011: Auch wenn es andernorts ruhig blieb, kam es im politischen Machtzentrum des Nordens häufig zu Krisen.

Das hat in der Stadt jedoch auch dazu geführt, dass zahlreiche nichtstaatliche Organisationen gegründet wurden, die anfangs vor allem den interreligiösen Dialog stärken wollten. Am bekanntesten ist das Interfaith Mediation Centre (IMC), das Pastor James Wuye und Imam Muhammad Ashafa vor 22 Jahren gründeten. Die lange Erfahrung kommt Stadt und Bevölkerung nun zugute. "Wir arbeiten sehr viel mit jungen Menschen zusammen und sorgen dafür, dass sie miteinander sprechen." Darüber hinaus werden in mehreren Bundesstaaten kommunale Friedensbeobachter ausgebildet.

Hass im nigerianischen Netz

Doch trotz aller Erfahrung hat der Konflikt auch eine neue Dimension bekommen: Hate-Speech – hasserfüllte Nachrichten – nimmt rasant zu und lässt sich so leicht wie nie zuvor per Internet verbreiten, auf das auch hier fast jeder Zugriff hat. "Gemeinsam mit dem Innenministerium arbeiten wir an einem Dokument dazu", sagt James Wuye. Auf Gegenmaßnahmen wartet auch Pastor Buru. "Hassbotschaften, die Menschen anstacheln, sind zum großen Problem geworden", sagt er. Seine Friedensarbeit soll aber nicht scheitern. "Wir lassen uns unsere langjährige Arbeit nicht durch ein paar Videos zerstören." (Katrin Gänsler aus Kaduna, 29.9.2017)