Kanzler Christian Kern mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron am Freitag in Tallinn.

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Die EU-Staaten wollen gemeinsam mit der Kommission das Reformtempo erhöhen, um die künftige Union aus 27 Staaten nach dem Austritt von Großbritannien Ende März 2019 zu stärken. Engere Kooperation und mehr Integration soll es in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung, bei der Steuerpolitik bzw. der Fiskalpolitik in der Eurozone geben, ohne dass dafür eine Änderung der EU-Verträge nötig wird.

Darauf haben sich die Staats- und Regierungschefs bei einem informellen Sondergipfel am Freitag in der estnischen Hauptstadt Tallinn geeinigt. Das Treffen war eigentlich angesetzt worden, um dem Ziel eines gemeinsamen digitalen Binnenmarktes, der rascheren Modernisierung von Netzwerken und der Cybersecurity neuen Schub zu geben. Von Beginn an standen jedoch in der Nacht auf Donnerstag die jüngsten EU-Reformpläne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und von Kommissionschef Jean-Claude Juncker im Zentrum. Dazu sei "viel Übereinstimmung" gefunden worden, bestätigten Teilnehmer. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hieß die Macron-Agenda ausdrücklich gut, kündigte eigene Vorstöße an, sobald die Regierungsbildung in Berlin vorankäme, eine Koalition von CDU/CSU mit FDP und den Grünen. Laut Bundeskanzler Christian Kern werde sich eine Gruppe von sieben bis acht "Vorreiterstaaten" bilden, mit Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, auch Deutschland. Sie wollen bis zum EU-Gipfel im Dezember ein Konzept auf den Tisch legen.

ÖVP "fast am defensivsten Rand"

Österreich werde sich daran beteiligen, sagte Kern, weshalb es nach den Wahlen am 15. Oktober manche Klärung zum EU-Kurs des Landes geben müsse. Er sieht die ÖVP dabei "fast am defensivsten Rand". Die EU-Partner hätten Sorgen geäußert, dass die EU-skeptischen Rechtspopulisten durch die FPÖ erneut Aufwind bekommen könnten. Eine Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen wäre diesbezüglich "besonders doof". Juncker drängte seine Kollegen, einen konkreten Reformfahrplan zu vereinbaren, damit am 30. März 2019 – vor den EU-Wahlen im Mai – eine Reform beschlossen werden könne. Den EU-Vorsitz wird dann Rumänien haben, dessen Präsident die Einberufung eines eigenen EU-Gipfels in Sibiu/Hermannstadt bestätigte.

Macron schlug etwa ein eigenes Eurobudget, einen Eurofinanzminister, aber auch die Schaffung einer EU-Armee vor. Die EU-27 sind durch den Brexit gezwungen, sich neue Wege auch der Finanzierung der Union über 2019 hinaus einfallen zu lassen. Großbritannien hinterlässt nach dem Austritt eine große EU-Budgetlücke von 14 Milliarden Euro.

Diese könnte durch eine Finanztransaktionssteuer und eine neue Internetsteuer geschlossen werden. Mit dem Geld will die EU die Digitalisierung antreiben, durch Finanzierung von Leitungsbau, Förderung von Start-ups, Übergang zu einer digitalisierten Gesellschaft, bei der Bildung. (Thomas Mayer aus Tallinn, 29.9.2017)