Man sollte sich nicht von den bunten Luftballons täuschen lassen. "Die Frau ohne Schatten" in Linz bietet auch düstere Bilder.

Norbert Artner

Linz – Am Ende ist sie zerfetzt, zerborsten: die Trennwand zwischen der Welt des hohen und der des niederen Paars, die Trennwand zwischen Fantasie und Realität. Was bleibt, ist eine aschgraue Trümmerlandschaft, über der man Projektionen von Schlachten aus dem Ersten Weltkrieg sieht. Erst als die Kaiserin Verzicht geübt hat und ein leidensfähiger Mensch geworden ist, tut sich ein Sternenhimmel auf und mit ihm der Blick auf ein hoffnungsvolles Morgen.

Bei Richard Strauss haben sich zu Zeiten der Weltkriege immer wieder eskapistische Musiktheaterprojekte ergeben. Die Frau ohne Schatten wurde 1919 uraufgeführt, doch trotz märchenhaften Sujets (von Hugo von Hofmannsthal liebevoll aus diversen Materialien amalgamiert) passen die Botschaften der Tatverweigerung ("Ich will nicht!") und des mitfühlenden Miteinanders in diese Zeit.

Bilderstarke Inszenierung

Die Kaiserin bringt es nicht über sich, das Färberpaar ins Unglück zu stürzen, um ihr eigenes Glück zu retten. Für Hofmannsthal war sie die geistige Hauptfigur, in der bilderstarken Inszenierung von Hausherr Hermann Schneider zeigt Brigitte Geller die moralisch sensible Tochter des Geisterkönigs stimmlich vielgestaltig: leicht und höhensicher wie ein Vogel, gleißend wie ein Sonnenstrahl, schlank wie eine junge Frau, doch dramatischer Zuspitzung fähig.

Strauss scheint die Partie der Färberin näher am Herzen gelegen zu sein: Ihr gibt er den größten Raum der fünf Hauptpartien. Miina-Liisa Värelä bewältigt die Anforderungen, ihr dramatischer Sopran hat Schneid und kompakte Faktur, versteht aber auch lyrische Bögen der Sehnsucht zu formen. Ein unvergessliches Bild gelingt Schneider und Ausstatter Falko Herold, als der Färberin von der Amme ein Ambiente von Luxus und Anbetung vorgegaukelt wird: Da schaukelt Värelä schwärmend umsungen und sternenberegnet im Glitzerkleid und ist gänzlich Glück und Freude.

Der Färber von Adam Kim hat die Ausstrahlung eines phlegmatischen Philatelisten; Kim singt den Gutmütigen mit Liederabendbedächtigkeit sowie in dynamischer Selbstbescheidung. Heiko Börner, als Kaiser Kims Gegenpart auf höherer Ebene, fühlt sich hingegen im Angriff deutlich wohler; er gebiert unter großem Druck Töne, die Stahlträgern gleichen.

Bühne mit Seltenheitswert

Katherine Lerner singt die Amme mit kraftvollem, wohltönendem Mezzo, die Bosheit der Figur kommt so nur wenig durch. Schade auch, dass Herold sie als eine Art Mary Poppins aus Downton Abbey kostümiert. Exzellent die kleinen Partien: Michael Wagner als Bote, Svenja Isabella Kallweit als (präsente) Stimme des Falken sowie die komisch gezeichneten Brüder des Färbers.

Die Bühnenbilder von Falko Herold leisten Dinge, die auf Opernbühnen fast schon Seltenheitswert haben: Sie lassen die im Libretto angegebenen Handlungsorte erkennen und schaffen Stimmung. Wundervoll die morbide Grandezza des Kaiserreichs (inklusive der Waldprojektionen), genug zu schauen hat man auch beim gegenwartsnah gebauten, abgewohnten Heim der Färber.

Für Wiener Verhältnisse ebenfalls unüblich ist die Behutsamkeit, mit der der neue Chefdirigent Markus Poschner die Dinge leitet: Sängerdienlicher kann man Strauss' gewaltigen Orchesterapparat wohl kaum feinjustieren. Beim Bruckner-Orchester beeindruckt das Blech mehr als die Streicher – der feine Schimmer will nicht immer gelingen. Stehender Beifall für eine beeindruckende Gesamtleistung. (Stefan Ender, 2.10.2017)