Ein neuer Stadtteil entsteht in Freiham im Westen der Münchner Landeshauptstadt. Fehler aus vergangenen Stadterweiterungsgebieten will man hier tunlichst vermeiden. Die zahlreichen Kräne im Hintergrund gehören zur Baustelle für den Bildungscampus Bodenseestraße.

Foto: Putschögl

Die österreichischen Architekten Alleswirdgut planten für den kommunalen Bauträger Gewofag das Quartierzentrum in Freiham.

Visualisierung: AllesWirdGut

In zwei Abschnitten sollen knapp 10.000 Wohnungen errichtet werden.

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18 Minuten dauert die Fahrt mit der S-Bahn vom Münchner Hauptbahnhof nach Freiham. Dort angekommen, steigt man in der vor vier Jahren neueröffneten Haltestelle aus dem Zug aus, geht ein paar Stufen hinunter, eine kleine Steigung wieder hinauf – und steht vor einer vierspurigen Straße. Willkommen im größten Münchner Stadterweiterungsgebiet.

Die Bundesstraße 2, die hier Bodenseestraße heißt, trennt den südlichen Teil Freihams, der schon weitgehend bebaut wurde, vom größeren nördlichen, noch großteils unbebauten Teil. Jenseits der Straße sind einige Baukräne zu sehen. Ganz hinten, weit im Norden, erblickt man außerdem ein großes Gebäude, das frei in der Landschaft herumsteht, ringsherum nur Wiesen. Es handelt sich um eine neue Grundschule, die soeben fertiggestellt wurde. "Schule im Nirgendwo", titelte die "Abendzeitung" Anfang August. Seit wenigen Wochen ist sie in Betrieb.

Rund um die neue Schule in der Wiesentfelser Straße wird noch sehr lange eine Baustelle sein, sehr wahrscheinlich 20 Jahre lang. Bis zum Jahr 2035 sollen hier in Freiham-Nord nämlich 9900 Wohnungen gebaut werden, die einmal 20.000 Menschen ein Zuhause geben sollen. Bis alles wirklich fertig ist, kann es auch länger dauern, lehrt die Erfahrung.

Österreicher planten Quartierzentrum

Auch Österreicher mischen bei der Verwandlung der weiten Ebene in einen neuen Stadtteil mit – zumindest indirekt. Das Wiener Architekturbüro Alleswirdgut beziehungsweise dessen Münchner Niederlassung hat vor einiger Zeit den Wettbewerb für den Bau des Quartierzentrums von Freiham gewonnen. Neben 240 Wohnungen in den Obergeschoßen sollen in der Erdgeschoßzone des Neubaus an der späteren Aubinger Allee (von der noch keine Bäume zu sehen sind) auch zahlreiche öffentliche Funktionen untergebracht werden. Man will hier etwa ein Kulturzentrum beherbergen, außerdem ein Haus für Kinder (Kindertagesstätte), eine Bibliothek mit Bildungslokal sowie ein städtisches Beratungszentrum.

Das Gebäude ist noch nicht in Bau, denn zuvor gibt es noch einiges zu besprechen. Die vielen sozialen und kulturellen Nutzungen in dem Haus sorgen für erhöhten Abstimmungsbedarf im Vorfeld, erklärt Jan Fischer vom Münchner Büro von Alleswirdgut. Er spricht von einem "sehr aufwendigen Prozess", in dem es etwa darum geht, Doppelstrukturen zu vermeiden, sondern vielmehr Synergien zu orten.

Geteilte Räume

Erst vor wenigen Tagen fand wieder ein Workshop statt, in dem es um die für alle Beteiligten günstigste Aufteilung der Grundrisse ging. "Früher haben manche Referate der Stadt aneinander vorbei geplant, jetzt schauen wir im Vorfeld, welche Räumlichkeiten geteilt werden können – etwa Konferenz- und Besprechungsräume", so Fischer.

Wenn alles nach Plan läuft, sollte im Sommer 2018 mit dem Bau begonnen werden können. Errichtet wird das Quartierzentrum, das sich noch ein wenig nördlich von der "Schule im Nirgendwo" befinden wird, von der städtischen Genossenschaft Gewofag. Die zweite große Münchner stadteigene Genossenschaft GWG baut einstweilen ganz in der Nähe an 170 Wohnungen samt einem Nachbarschaftstreff. Ende 2018 sollen die ersten Bewohner einziehen.

"Aus Fehlern gelernt"

Angesprochen auf die städtebauliche Qualität des neuen Stadtteils, will sich Architekt Fischer als Auftragnehmer naturgemäß nicht allzu weit hinauslehnen. Dass man von Freiham-Nord künftig aber eine vierspurige Straße überqueren wird müssen, um zur S-Bahn zu gelangen, entlockt ihm doch ein kurzes "Absurd".

Dabei habe man in Freiham schon aus den Fehlern früherer Stadtentwicklungsgebiete gelernt, fügt er an. In Riem etwa, wo auf dem Areal des alten Flughafens das Messegelände gebaut wurde, entstand südlich davon die Messestadt Riem. Weil man auf die soziale Infrastruktur großteils schlicht vergessen bzw. verzichtet hatte, wird sie oft als "reine Schlafstadt" bezeichnet. Nun wird das mühselig behoben: Bis 2021 soll dort ein Schulcampus errichtet werden.

Keine Schlafstadt

In Freiham wollte man diesen Fehler ganz offensichtlich nicht wiederholen. Die vielen Baukräne unweit der S-Bahn gehören zur Baustelle des Bildungscampus Bodenseestraße, den Stadt München und Freistaat Bayern hier bis 2019 errichten. Und nördlich der schon fertigen "Schule im Nirgendwo" soll noch eine zweite Grundschule gebaut werden.

Auch an die Öffis soll Freiham noch besser angebunden werden. Ein U-Bahn-Anschluss ist zwar laut einem im Juni veröffentlichten Gutachten nicht wirtschaftlich, über eine Tramverlängerung von Pasing nach Freiham wird aber diskutiert, ebenso wie über eine tangentiale Verbindung der S-Bahn-Haltestelle Freiham mit der nördlich gelegenen S-Bahn-Station Aubing. Man wird sehen, was herauskommt. (Martin Putschögl aus München, 3.10.2017)