VfGH-Präsident Holzinger bei der Verkündung der Annullierung der Bundespräsidentenstichwahl im Sommer 2016. So etwas soll nicht noch einmal geschehen, hieß es damals.

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Bereits im problembehafteten Wahljahr 2016 haben internationale Wahlbeobachter der unabhängigen, unparteiischen Plattform wahlbeobachtung.org mit den politischen Parteien sowie der Bundeswahlbehörde die Notwendigkeit von Wahlreformen besprochen, doch die angekündigte umfassende Neugestaltung hat bislang nicht stattgefunden. Wiederholte Empfehlungen seitens der OSZE wurden trotz des derzeitigen Vorsitzes Österreichs nicht ausreichend umgesetzt. Die Aufhebung der Bundespräsidentenstichwahl durch den VfGH stellt einen Präzedenzfall dar, der weitere Anfechtungen nach sich ziehen könnte. Nach dem 15. Oktober könnten erneute Irregularitäten und andere Aspekte der Wahldurchführung zum Anlass genommen werden, die Wahl zu beeinspruchen.

Mögliche Gründe dafür: Knappe Resultate bei den Nationalratswahlen könnten dazu beitragen, dass jene Kandidaten oder wahlwerbenden Gruppen, die die Vierprozenthürde für den Einzug ins Parlament, das Erreichen eines Direktmandats oder das Überspringen der Einprozenthürde für öffentliche Zuschüsse zu Wahlkampfkosten verfehlen, eine Wahlwiederholung anstreben.

Briefwahlkarten

Einsprüche wahlwerbender Gruppen können nicht nur einen spezifischen Bereich der Wahl thematisieren, sondern mehrere Themen umfassen. Nach der Wahl könnte sich die Frage stellen, ob alle Wahlbehörden entsprechend handlungsfähig waren. Dazu zählt etwa die Frage, ob von den Parteien genügend und ausreichend qualifizierte Beisitzer nominiert und diese von den Behörden ordnungsgemäß geladen wurden. Potenziell problematisch wäre auch die verfrühte Veröffentlichung einzelner Wahlsprengelresultate oder von Hochrechnungen vor 17 Uhr, insbesondere über soziale Medien. Das Teilen früher Wahlergebnisse kann anonym über internationale Server stattfinden, wie dies in den meisten westlichen Demokratien bereits der Fall ist. Zudem haben Wahlzeugen in Österreich keine Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit.

Ein weiteres, nach wie vor nicht ausreichend gelöstes Thema sind die Briefwahlkarten. Hierfür wird seit Herbst 2016 wieder ein früheres Kuvertformat verwendet, das die Unterschrift des Wählers außen sichtbar trägt. Aufgrund der in Österreich geltenden Datenschutzrichtlinien könnte dieses Format und damit das Wahlergebnis beanstandet werden. 2009 verwies der Datenschutzrat in einer Stellungnahme auf das Datenschutzgesetz, das vorsieht, "dass für die Übermittlung der Wahlkarte an die Wahlbehörde bei der Briefwahl ein neutraler Umschlag mit der Adresse der Wahlbehörde als Empfänger bereitgestellt wird und darüber hinaus von der zwingenden Anführung personenbezogener Daten des Wählers auf dem Umschlag Abstand genommen wird". Bei der letzten Wahl wurden zudem gut 30.000 abgegebene Stimmen aufgrund fehlender Unterschriften am Kuvert für ungültig erklärt. In fast 1000 Fällen kamen Wahlkarten beschädigt an und flossen nicht in die Auszählung ein; auch die Zahl der zu spät oder gar nicht eingelangten aber abgesandten Wahlkarten könnte über einem Prozent liegen.

Einspruchsmöglichkeiten

Andere Aspekte der Wahl, die bei möglichen Einsprüchen erwartet werden könnten, sind die Reihung der wahlwerbenden Gruppen auf den Stimmzetteln, die Einhaltung des Gleichheitsprinzips durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei zehn bundesweit antretenden wahlwerbenden Gruppierungen, unzureichende gesetzliche Regelungen und Vorrichtungen für die gleichberechtigte Teilnahme von Wählern mit Behinderungen sowie die Wählerevidenzverzeichnisse, die bis jetzt noch nicht zu einem zentralen Wählerregister zusammengefasst wurden. Das Thema Doppelstaatsbürgerschaften wurde breit diskutiert und – mögliche Einsprüche vorwegnehmend – von einer Studie im Auftrag der Bundeswahlbehörde entsprechend erörtert. Die späte Verfügbarkeit von endgültigen Ergebnissen erst Tage nach der Wahl aufgrund des späten Auszählens der Briefwahlstimmen stellt zwar keinen Anfechtungsgrund dar, bestätigt aber auch die Notwendigkeit von Wahlreformen.

Quo vadis Wahlreformen?

Die anstehenden Wahlreformen sollten in der nächsten Regierungsvereinbarung verankert sowie umfassend und unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft umgesetzt werden. Zwei Beispiele unserer Vorschläge dafür:

· Da das historisch gewachsene, auf zwei Großparteien basierende System von Wahlbeisitzern mittelfristig nicht mehr durchführbar sein wird, sollte der Beisitz breiter gedacht und für Nichtparteimitglieder geöffnet werden. Ein bundesweites Trainingsprogramm und einheitliche, angemessene Entlohnung sollten das an sich sehr gute System ergänzen; der Beisitz könnte mit der Abhaltung von Praktika und Wählerbildung für Jungwähler verbunden werden.

· Wahlberechtigte, speziell aus dem Ausland, sollten über eine Webseite eruieren können, ob ihre Briefwahlkarte rechtzeitig eingelangt ist und in die Stimmauszählung miteinbezogen wurde. Das zentrale Wählerregister, das 2018 eingeführt werden soll, sollte dies ermöglichen.

Die OSZE wird zum 15. Oktober erneut eine Wahlbewertungsmission nach Österreich entsenden, da internationale Verpflichtungen zur Abhaltung sicherer und demokratischer Wahlen nicht gänzlich erfüllt werden. Österreich, als Sitz der OSZE und derzeit mit der Verantwortung des Vorsitzes ausgestattet, hätte hier die Möglichkeit, mit Wahlreformen nicht nur die Integrität des heimischen Wahlprozesses zu verbessern, sondern auch seine Vorbildrolle in der OSZE und in Europa auszubauen. (Armin Rabitsch, Iris O'Rourke, Michael Lidauer, Paul Grohma, 2.10.2017)