Auf dem Weg vom Großen Walsertal zum Mittelpunkt Österreichs in Bad Aussee waren wir von einem Schleichplatten geplagt. Der erzwang am Grenzübergang Walserberg eine längere Pause, an deren Ende der Reifenwechsel durch den ÖAMTC stand. Entsprechend gerädert waren wir dann auch nächstentags bei unserer Walfangmission in der Spitalkirche zum Heiligen Geist zu Bad Aussee.

Der Bauherr des Gotteshauses dürfte nicht die katholische Kirche gewesen sein, sondern die Gewerkschaft der Hallinger. Es wurde im Auftrag der Saline für die Insassen des Spitals errichtet – auch Bettlägerige konnten der Messe beiwohnen, ihre Liegestatt war nur durch ein Fenster vom Kirchenschiff getrennt. Die Saline befand sich damals im Zentrum des Ortes, dort wo jetzt das Kurhotel und die Kurcafé-Konditorei stehen, also im Herzen des heutigen Österreichs.

In der Zeit der Gegenreformation ließ das habsburgische Herrscherhaus hier ein eindrucksvolles Fresko erstellen. Das obere Drittel der Seitenwände, sowie der Rückwand der Kirche wird von Malereien eingenommen, die unter anderem Auferstehung und Himmelfahrt Jesu zeigen. Wir denken an Kunsthistoriker Oliver Grau und seine Geschichte der virtuellen Kunst, in der er die Gegenreformation als eine Blütezeit der immersiven Malerei beschreibt.

Auf der Empore lauschen wir der Geschichte der Fresken der Spitalkirche.
Foto: toxic dreams

Kirche und Herrscher waren sich der Überzeugungskraft visueller Kommunikation bewusst und setzten diese strategisch gegen die trockene, am Wort orientierte protestantische Lehre Luthers ein. Im Gegensatz zu entlegeneren Orten wie Gosau wurde in Aussee die Gegenreformation sehr aktiv betrieben. Den Habsburgern ging es dabei darum, den wirtschaftlich wichtigen Salzabbau schnell wieder unter eigene Kontrolle zu bekommen.

Unsere Suche nach dem österreichischen Wal führte uns wegen jenes Teils des Freskos in die Spitalkirche, der die Geschichte von Jonas und dem Wal erzählt. Auf zirka zwei mal drei Metern spielen sich in diesem Bild gleich zwei Szenen ab. Im hinteren Teil ist ein vom Sturm in Seenot gebrachtes Schiff zu sehen. Jonas geht über Bord, beziehungsweise steigt er direkt in den Rachen des Wals.

Im Hintergrund wird Jonas ins Meer und in den offenen Rachen des Wals gestürzt.
Foto: toxic dreams

Im vorderen Teil des Bildes springt Jonas aus dem fürchterlichen Schlund des Tieres an einen muschelübersäten Strand – oder wird dorthin ausgespien. Die waagrechte Schwanzflosse, der 45 Grad nach vorne gerichtete Blas, sowie das mit Zähnen bewehrte Maul lassen hier deutlich einen Pottwal erkennen, auch wenn wir bei der Betrachtung davon ausgehen müssen, dass der Maler einen solchen in natura nie gesehen hatte.

Eine der seltenen Jonas-Darstellung in einer österreichischen Kirche.
Foto: toxic dreams

Darstellungen der Erzählung von Jonas und dem Wal sind in österreichischen Kirchen nicht besonders häufig. Uns bieten sich zwei Erklärungen dar, warum gerade hier in Bad Aussee diese Geschichte gemalt wurde: In der Gesamtkonzeption des Freskos steht Jonas Rettung genau der Auferstehung Christi gegenüber. Wie Jonas nach drei Tagen dem Wal entkommt, steigt auch Christus nach drei Tagen aus seinem Grab. Jonas Geschichte aus dem Alten Testament lässt sich somit als Präfiguration der Auferstehungserzählung Jesu im Neuen Testament lesen.

Eine zweite Erklärung bringt Jonas mit den Haupteinnahmequellen der Ausseer, dem Salz und den Fischen, in Verbindung. Vielleicht sollte in einer Gegend, deren Geschick so mit ihren Seen verknüpft war, diese Geschichte das Vertrauen in Gott stärken: Wann immer man als Fischer oder Flößer vom Sturm überrascht wurde – Gott würde einen aus dieser Not erretten.

Mitten ins Herz

An dieser Stelle ist es nun Zeit uns bei Österreich zu bedanken, dass dieses Land seinen geografischen Mittelpunkt so besucherfreundlich im Kurpark der Gemeinde Bad Aussee in der Steiermark platziert hat. Wo wir sonst hohe Berge erklimmen oder uns auf eine mühsame Suche begeben mussten, konnten wir zum Abschluss unserer Reise durch die österreichischen Bundesländer nun ganz mühelos durch die freundliche kleine Stadt schlendern und uns gewissermaßen mit Kaffee in der Hand am Mittelpunktstein einfinden.

Dieser stattliche Sandstein im Kurpark macht seit 1989 auf jene erdkundliche Zufälligkeit aufmerksam, die 1949 im Rahmen eines Wettbewerbs von Geografen bestätigt wurde. Und drumherum also wir in großer Aufmachung. Für das Grande Finale unserer Reise zu den Mittelpunkten Österreichs greifen wir tief in unsere Klamottenkiste und holen für unser Landungsritual noch einmal alle Figuren hervor, die uns bislang begleitet haben: der Gorilla, das Trachtenkostüm von Frau Barbara, Ahabs Kapitänsmantel mit Holzbein, der Astronaut und, gewissermaßen als Zugabe, nun zum allerersten Mal das Würstchenkostüm, in das sich Michael zwängt, um die Gitarre bei unserer Zeremonie zu spielen.

Bad Aussee bekommt alles, was wir im mobilen Fundus haben.
Foto: toxic dreams

Weil es für Bad Aussee das erste Ritual dieser Art ist, für uns aber das letzte, entscheiden wir uns für einen besonderen Trauermarsch um den Sandstein herum in musikalisch sehr eigenwilliger Besetzung: Ahab (kleine Trommel), Würstchen (Gitarre), Astronaut (Glockenspiel), Seemann (Melodica), Gorilla (Triangel) interpretieren eines von Purcells Trauermusikstücken, während Frau Barbara (Stimme) dazu eine Klage-Arie anstimmt. Das alles weckt natürlich die Aufmerksamkeit der Parkbesucher, wie auch jene von Gunter, der zu dieser späten Vormittagsstunde gerade nach seinem Einkauf durch den Park geht.

Gunter scheint von uns angefixt, er entscheidet sich spontan, seine selbstgebaute Holzleier zu holen, um mit uns zu musizieren. Als er wiederkommt, trägt er eine grasgrüne Jacke mit gleichfarbigem Hut, der ihn wie einen irischen St.-Patricks-Kobald aussehen lässt. Ein Profi. Was aber spielen? Direkt neben dem Park liegt am Zusammenfluss von Grundlseertraun und Altausseertraun eine Fußgängerbrücke, die maßgeblich von einem großen deutschen Automobilhersteller finanziert wurde und daher, kein Witz, die Form eines überdimensionalen Mercedes-Sterns hat! Geld schlägt Geschmack. Was läge da näher, als Janis Joplins alte Leier "Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes-Benz" anzustimmen.

Susanne Gschwendtner (als Barbara Murschitzeder) und Gunter auf der Mercedes-Brücke.
Foto: toxic dreams

Leider will nun Gunters Leier nicht so wie er, und wir quälen uns zugegebenermaßen ein wenig mit unseren Instrumenten. Da aber unser Stoßgebet zu nichts führt – Gott kauft uns weder Porsche noch Mercedes – packen wir zusammen und machen uns auf den Weg nach Altaussee.

Die (letzte) Jagd am Altausseer See

Schließlich verfolgen wir eine höhere Mission: dieser Halt ist 'The Chase' gewidmet, der entscheidenden Jagd nach dem weißen Wal in den letzten drei Kapiteln von "Moby-Dick". Für diesen Einsatz auf dem Altausseer See haben wir eine sogenannte Plätte angemietet, die, allerdings mit Elektromotor betrieben, nun als unser Walfangschiff Pequod dient.

Unsere Crew verstärkt sich für diesen Außendreh mit Valentin Ledebur, dem Enkel des Queequeg-Darstellers in Hustons Moby-Dick-Verfilmung, Friedrich von Ledebur. Valentin ist in Altaussee aufgewachsen und zur Schule gegangen, bevor er in Wien ein Sound-Engineering-Studium aufnahm.

Kapitän Ahab und Crew in einer Plätte am Altausseer See.
Foto: toxic dreams

Es ist in der Zwischenzeit sehr ungemütlich geworden, der Wind bläst über den See und treibt den Nieselregen unter unsere Regenmäntel. Tja, "österreichischer Sommer" ist beizeiten ein Oxymoron. Auch Valentin friert, lässt sich aber nichts anmerken und meistert bravourös die Sätze, die er in dieser Szene als einfacher Matrose zu sagen hat. Mit gereckten Harpunen und grimmigen Gesichtern schreit die Besatzung immer mehr gegen die größer werdenden Wellen an, als wollte sie den Wal mit ihrem Geschrei hervorlocken. Doch der scheint heut zu zicken ...

Mehrere Enden und ein Anfang

Was als eine Reihe von Close-Ups begann, die Eroberung der geografischen Mittelpunkte der acht Bundesländer (Wien wird sein eigenes Close-Up zu einem späteren Zeitpunkt bekommen), endete sozusagen in der Vogelperspektive, dem Mittelpunkt von Österreich selbst.

Tags darauf fuhren wir dann zurück nach Wien. Am Weg, irgendwo im Provinzniemandsland hielten wir und pressten eine letzte Szene aus uns heraus. Der Schauplatz ist ein Wohnmobil, die Schauspielerinnen und Schauspieler sitzen um den kleinen Esstisch. Sie lesen die letzte Szene des Stücks "Moby Dick Rehearsed", Orson Welles zweiaktigem Drama, seiner Bearbeitung von Melvilles Monstrum. Sie endet mit den Zeilen:

The Governor: You can take down the curtain.
(He turns and walks away. After a moment:)
THE CURTAIN FALLS

Cut! Das war nun wirklich die letzte Szene, die wir auf der Reise drehten. Und gleichzeitig der Beginn des restlichen Projekts. (Michael Strohmann, Peter Stamer, Yosi Wanunu, Markus Zett, 4.10.2017)

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