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Die SPÖ nimmt Unternehmer Stefan Pierer ins Visier.

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Wien – Aufregung rund um den Unternehmer und ÖVP-Spender Stefan Pierer. Der KTM-Chef und seine Steuerkonstruktion wurden am Mittwoch Gegenstand heftiger Debatten. Erst thematisierte SPÖ-Abgeordneter Jan Krainer anhand der geheimen Steuerdaten die angeblich geringe Abgabenbelastung des Multimillionärs. Dann konterte Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) mit einer Sachverhaltsdarstellung bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft.

Zudem leitete das Finanzministerium Erhebungen wegen Verdachts einer Verletzung des Steuer- beziehungsweise Amtsgeheimnisses gegen unbekannt ein, weil "persönliche und sensible Daten eines Steuerzahlers an die Öffentlichkeit gelangt sind", wie das Ministerium erklärte.

Was hat zu dem Wirbel geführt? Laut SPÖ-Finanzsprecher Krainer hat Pierer in den Jahren 2012 und 2013 Einkommensteuern in Höhe von gerade einmal 2.779 und 2.642 Euro bezahlt. Damit leiste der Chef eines "Milliardenunternehmens" weniger Steuern als jeder Arbeitnehmer, der mehr als 1.400 Euro netto im Monat verdiene.

Informant der SPÖ

Woher Krainer diese Informationen bezieht, präzisierte er nicht. In einer zu dem Thema am Mittwoch eingebrachten Anfrage an Finanzminister Schelling sprach Krainer lediglich von "Informanten". In Österreich gilt ein striktes Steuergeheimnis, Behörden ist es nicht erlaubt, Angaben zu Steuerverbindlichkeiten einzelner Personen zu machen. Das Finanzministerium gab gegenüber dem STANDARD an, wegen des Verdachts der Verletzung des Steuer- und Amtsgeheimnisses Erhebungen eingeleitet zu haben.

Krainer legte aber nach: So soll eine der steuerschonenden Konstruktionen Pierers "bei einer Prüfung des zuständigen Finanzamts zunächst vom zuständigen Steuerprüfer per Bescheid abgelehnt worden sein", so Krainer. Diese Ablehnung sei beeinsprucht und anschließend "auf Druck von oben" wieder aufgehoben worden sein.

Nähere Angaben, um welche Konstruktionen es sich handelte, machte Krainer nicht. Vorerst war er nicht erreichbar. KTM-Chef Stefan Pierer weist die Darstellung der SPÖ gegenüber dem STANDARD zurück. Die von der SPÖ genannten Einkommensteuerbeträge sind demnach zwar korrekt, betreffen aber nur seine Einkünfte als Aufsichtsrat. Seine deutlich höheren Vorstandsbezüge wurden nach Angaben seiner Sprecherin an eine Firma von ihm, eine GmbH ausbezahlt. Für diese Gewinne sei eine Körperschaftssteuer in Höhe von 25 Prozent fällig geworden. Die GmbH soll keine Gewinne ausgeschüttet haben, sollte dieser Fall eintreten, wäre auch eine Kapitalertragsteuer fällig.

Pierers Rechnung

Pierer erbrachte seine Tätigkeit für KTM die Pierer Konzerngesellschaft GmbH. Die Vorstandsvergütung floss daher nicht an Pierer persönlich, teilte das Unternehmen mit. Die Pierer Konzerngesellschaft GmbH habe diese Vergütungen ordnungsgemäß mit 25 Prozent versteuert. Damit wurden in 2012 circa 200.000 Euro und 2013 circa 300.000 Euro Steuern auf Vorstandsbezüge bezahlt. Im Falle einer Ausschüttung steige die Gesamtbesteuerung auf 46 Prozent.

Abschleicherliste

Krainer hatte bereits vergangene Woche Pierer attackiert und ihn in Zusammenhang mit der Abschleicherliste gebracht. Das ist eine Gruppe von wohlhabenden Österreichern, die ihr Geld jahrelang in der Schweiz und in Liechtenstein angelegt hatten.

Österreich schloss mit den beiden Ländern 2013 und 2014 Steuerabkommen, um das mutmaßliche Schwarzgeld nachzuversteuern. Genau in dem Moment, als ihre Enttarnung bevorstand, holten die Abschleicher das Geld nach Österreich zurück, wo das Bankgeheimnis weiter Diskretion bot. Als Reaktion hat das Parlament mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Grünen ein Gesetz beschlossen, das die Banken dazu verpflichtete, alle größeren Transaktionen auf Privatkonten aus den beiden Ländern nach Österreich zu melden.

Who's who der oberen 10.000

Krainer behauptete in einer Anfrage an das Finanzministerium vergangene Woche, dass sich unter den Abschleichern das Who's who der oberen 10.000 von Österreich befindet. Und outete einen Namen: Stefan Pierer.

Laut dem SPÖ-Politiker hat Pierer am 18. Dezember 2013, ziemlich genau zwei Wochen bevor das entsprechende Steuerabkommen in Kraft trat, zwei Überweisungen aus Liechtenstein nach Österreich getätigt. Einmal wurden zehn Millionen Euro überwiesen und dann 10,7 Millionen. Interessant ist das Ganze aus Sicht der SPÖ natürlich im Wahlkampf, weil Pierer als Großspender für die ÖVP in Erscheinung trat. Er spendete 436.563 Euro an die Volkspartei.

Pierer bestätigte die Überweisung aus Liechtenstein und sprach davon, dass es sich um die Auszahlung einer Versicherungssumme aus einer Lebensversicherung gehandelt habe. Die Existenz der Abschleicherliste sei ihm nicht bekannt. Pierer gibt zudem an, alles immer ordnungsgemäß versteuert zu haben – und laufend die Versicherungssteuer entrichtet zu haben.

Motivsuche für Lebensversicherung

Was motiviert einen österreichischen Industriellen, Millionen in einer Lebensversicherung in Liechtenstein anzulegen? DER STANDARD hat mit mehreren Steuerberatern gesprochen, die den betreffenden Fall nicht kennen – aber viel mit österreichischen Kunden in der Schweiz und in Liechtenstein zu tun hatten. Lebensversicherungen sind unter bestimmten Umständen, wie einer langen Laufzeit (mindestens zehn Jahre), steuerlich privilegiert. Auf die laufenden Erträge und den Wertzuwachs fällt keine Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 Prozent an, sondern nur eine Versicherungssteuer von vier Prozent.

Der Steuerberater Helmut Moritz erzählt, dass in Liechtenstein sogenannte Insurance-Wrapper lange beliebt waren: Dabei wurden bestehende Bankdepots, die sich aus Aktien und anderen Wertpapieren zusammensetzten, in eine Lebensversicherung eingebracht. Nach einer bestimmten Laufzeit wurden die Papiere an den Kunden rücküberwiesen. Für den Wertzuwachs fiel dann eben "nur" die Versicherungssteuer an.

Jeder Abschleicherfall zu prüfen

Moritz und sein Kollege Alexander Lang von Deloitte sagen, dass die österreichische Finanz in vielen Fällen die Versicherungskonstruktionen steuerlich nicht anerkennt, etwa dann, wenn der Versicherungsnehmer direkte Kontrolle über die Wertpapierzusammensetzung hatte.

Warum und unter welchen Umständen Pierer in eine liechtensteinische Versicherung investierte, konnte bei KTM zunächst niemand sagen. SPÖ-Politiker Krainer kritisiert, dass Finanzminister Schelling bei der Überprüfung der Abschleicherfälle nicht energisch genug handle. Gesetzlich sind die Abgabenbehörden verpflichtet, jeden einzelnen Abschleicherfall zu prüfen.

Steuerberater erzählen, dass sie noch keine Kenntnis von Prüfungen haben. Im Finanzministerium dagegen heißt es, dass sehr wohl Kontrollen durchgeführt werden. Der Abgeordnete Bruno Rossmann von der Liste Pilz, der jahrelang die Abschleicherdebatte politisch vorangetrieben hatte, sprach am Mittwoch davon, dass auch seiner Kenntnis nach die Finanz die einzelnen Abschleicherfälle nicht genau inspiziere. "Immer, wenn es um die Reichen geht, hat der Finanzminister beide Augen zu", so Rossmann. (András Szigetvari, 4.10.2017)