Finanzminister Hans Jörg Schelling im Parlamentsausweichquartier in der Hofburg.

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Wien – Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) hat den Nationalrat in der Sondersitzung am Mittwoch davor gewarnt, bis 15. Oktober Wahlzuckerln zu verteilen. "Sie hinterlassen mit diesen Entscheidungen einen budgetären Scherbenhaufen", kritisierte Schelling. SP-Klubchef Andreas Schieder und der Grüne Werner Kogler wiesen das heftig zurück, FP-Finanzsprecher Hubert Fuchs hält Schelling für unglaubwürdig.

Livestream aus dem Parlament.

Schelling erinnerte an die berühmt-berüchtigte Vorwahlsitzung vom 24. September 2008 und die noch immer nachwirkenden Milliardenkosten. Damals hätten alle Parteien gesagt "nie wieder" – daran gehalten hätten sie sich aber nicht. "Beschließen wir hier im Hohen Haus nicht in letzter Minute Wahlzuckerln, die in der Wahlauseinandersetzung nicht helfen, aber auf viele Jahre Kosten verursachen", appellierte Schelling. Er forderte eine "Schuldenbremse" in der Verfassung und ein Verbot budgetbelastender Beschlüsse nach Auflösung des Nationalrats.

Von SP-Klubchef Andreas Schieder holte sich der Minister dafür einen heftigen Rüffel. Er werde sich nicht gefallen lassen, dass Schelling den Abgeordneten die parlamentarischen Rechte erkläre: "Es ist nicht Aufgabe des Finanzministers, über die Verfassung drüberzuspringen und alle für blöd zu verkaufen." Schieder warnte vor Pensions- und Sozialkürzungen mit einer schwarz-blauen Koalition nach der Wahl und kritisierte den Vorschlag der ÖVP zum Unterhaltsvorschuss: "Im Fernsehen hält der Sebastian Kurz das 'Ja'-Taferl auf, und was schlägt er jetzt vor? Dass man es nur macht, wenn man auf sein ganzes Vermögen verzichtet."

FPÖ kritisiert Schellings "Märchenstunde"

FP-Finanzsprecher Fuchs kritisierte die "Märchenstunde" des Finanzministers und hält Schelling für unglaubwürdig: "Wo waren denn Ihre mahnenden Worte, als die Bundesregierung im Rahmen der Flüchtlingskrise das Geld abgeschafft hat?" Allein 2017 habe die Regierung 1,7 Milliarden Euro für die Flüchtlingskrise "in die Luft geblasen". "Verantwortung für Steuermittel muss man auch in Vorwahlzeiten, nicht nur in Wahlkampfzeiten zeigen", so Fuchs.

Grünen-Budgetsprecher Werner Kogler wies Schelling ebenfalls scharf in die Schranken: Natürlich dürfe sich ein Minister im Parlament erklären, so Kogler: "Aber ich bin mir nicht sicher, ob der Verfassungsgesetzgeber vorausgesehen hat, dass sich hier Minister ins Parlament begeben und dem Parlament erklären, dass es gefälligst die Pappen halten soll." Kogler hätte sich ohnehin lieber eine Warnung zu den Steuersenkungsplänen von VP-Chef Kurz gewünscht. Der verweigere jede Erklärung im Parlament: "Aber im Fernsehen erklärt er dann Steuersenkungen ohne Gegenfinanzierung, da regt sich keiner auf in der ÖVP."

Neos-Chef Matthias Strolz erklärte einmal mehr, der Stachel im Fleisch der Regierung sein zu wollen. Der Sieg der ÖVP stehe ohnehin schon fest. "Es wird einen langen Stachel brauchen im Sitzfleisch dieser alteingesessenen Parteien, insbesondere des Herrn Kurz." Nur neue Bewegungen wie die Neos könnten hier Bewegung sicherstellen, ansonsten werde Kurz ab dem 16. Oktober Gefangener der Bünde, der Landeshauptleute und der Kammerfunktionäre sein.

Wallner warnt vor "Casino-Mentalität"

Auch der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) hat am Mittwoch vor einer "Casino-Mentalität" im Nationalrat gewarnt. Der Beschluss von Gesetzen ohne entsprechende Begutachtung, Verhandlungen und klare Gegenfinanzierung sei abzulehnen. Wallner verwies dabei auf die "Verpflichtung gegenüber dem Steuerzahler und zukünftiger Generationen".

Wallner richtete als aktueller Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz einen dringenden Appell zum sparsamen Umgang mit Steuergeld an die Nationalratsabgeordneten. Er erinnerte insbesondere an das Jahr 2008, als vier Tage vor der damaligen Nationalratswahl "mehrere Milliarden ohne konkrete Gegenfinanzierung" verteilt worden seien. Es sei nicht sein Politikverständnis, vor der Wahl Geschenke zu verteilen, die danach in Sparpakete münden, unterstrich der Landeshauptmann. Ebenso dürfe es keine Beschlüsse geben, die Kosten des Bundes einseitig auf die Länder und Gemeinden abwälzen.

Fremdenrechtspaket repariert

Der Nationalrat hat dann zum zweiten Mal mit Koalitionsmehrheit das Fremdenrechtspaket beschlossen, das unter anderem längere Schubhaft am Stück ermöglicht, eine Residenzpflicht für Flüchtlinge sowie höhere Strafen bei Nichtausreise trotz aufrechten Bescheids bringt. Die Wiederholung des eigentlich schon Ende Juni erfolgten Beschlusses war wegen eines Verlautbarungsfehlers notwendig geworden.

Im Normalfall hätte es wohl keine Debatte mehr zu der inhaltlich unveränderten Vorlage gegeben, doch eineinhalb Wochen vor der Wahl hatten alle Parteien etwas zu sagen. Besonders die Freiheitlichen warfen sich ins Zeug.

Ihre Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein sprach bei dem Gesetz nur von einem Placebo.. Denn real blieben alle straffälligen Zuwanderer bzw. Flüchtlinge hier, egal welche Verbrechen sie begangen hätten. Gleichzeitig forderte sie eine Neufassung der Ausländergesetze, da diese nicht mehr lesbar seien.

Nämliches verlangte Neos-Mandatar Nikolaus Scherak. Nicht grundsätzlich nein sagten ÖVP und SPÖ, gaben aber zu bedenken, dass das wohl eine sehr komplexe Angelegenheit würde. Die Grün-Abgeordnete Alev Korun wiederum warb dafür, statt ständig Verschärfungen im Fremdenrecht durchzuführen, einmal die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das geht bei ihr vom Klimaschutz bis hin zum gerechten Handel.

Verbot des Online-Handels von Tieren gelockert

Eine weitere Gesetzesreparatur betrifft das erst im März verschärfte Tierschutzgesetz. Damit wird das Verbot des Online-Handels von Tieren soweit gelockert, dass nicht mehr erwünschte Haustiere unter bestimmten Umständen wieder im Internet angeboten werden können. Dafür stimmten SPÖ, ÖVP und Neos. Grünen und FPÖ ging der Antrag nicht weit genug. Ihre Änderungswünsche wurden aber abgelehnt.

Zulässig ist künftig die Online-Vermittlung von Tieren, die mehr als sechs Monate alt sind (bzw. wenn bei Hunden und Katzen die Eckzähne bereits ausgebildet sind). Und zwar dann, wenn die Tiere nicht bei ihrem Besitzer bleiben können oder dürfen. Tierschutzorganisationen hatten die seit Juli geltende, restriktivere Regelung kritisiert und gemeint, dass damit zunehmend Tiere ausgesetzt würden.

Der Grünen Christiane Brunner ging die von SPÖ, ÖVP und Neos eingebrachte Gesetzesreparatur nicht weit genug. Auch FP-Tierschutzsprecher Josef Riemer kritisierte den Vorschlag. Gesundheitsministerin Pamela Rendi Wagner (SPÖ) verteidigte das Gesetz als "guten Schritt hin zu mehr Tierschutz, unter einhaltbaren Auflagen". Sie sagte außerdem eine Reform der Tierschutz-Sonderverordnung zu, um kleineren Vereinen die Tätigkeit zu erleichtern. VP-Tierschutzsprecher Franz Eßl plädierte dafür, dass es nicht nur den Tieren, sondern auch ihren Haltern gut gehen müsse.

Dringlicher Bildungsantrag der Grünen

Die Grünen haben am Vormittag jenen Dringlichen Antrag für eine OECD-Länderprüfung eingebracht, der Basis für die heutige Sondersitzung des Nationalrats ist.

In der Begründung der Initiative wird darauf hingewiesen, dass die Bildungserfolge in Österreich gemäß verschiedenen Studien immer noch stark vom Elternhaus abhängen würden. Daher sollte eine OECD-Prüfung Maßnahmen herleiten, die zur Verbesserung der Chancengerechtigkeit und zur Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus führen. Einen besonderen Fokus wollen die Grünen auf die Sekundarstufe eins und das Polytechnikum richten.

Zu bemängeln am Istzustand haben Bildungssprecher Harald Walser und Kollegen so einiges. Aus ihrer Sicht wird ein "veraltetes Bildungssystem krampfhaft aufrechterhalten".

Schon beim Kindergarten läuft nach grüner Darstellung so manches schief. Vermisst wird etwa die Umsetzung des verpflichtenden zweiten Kindergartenjahres. Ebenfalls kritisiert wird, dass Kinder mit Behinderungen keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben, da sie nicht der Kindergartenpflicht unterliegen. Weiters angeprangert wird, dass die Öffnungszeiten in einzelnen Bundesländern nicht ausreichend seien. Dazu gebe es nicht genug Betreuungspersonal.

Lückenhafte Ganztagsbetreuung

Lücken sehen die Grünen auch später bei der Ganztagesbetreuung, etwa dadurch, dass Arbeitslose und Asylwerber oft keinen Zugang dazu bekämen. Das vertiefe die Bildungskluft weiter, glauben die Grünen. Sie beklagen auch eine "Privatisierung der Bildung", würden Eltern mit entsprechendem Einkommen doch auf Privatschulen setzen und könnten sich auch Nachhilfe für ihre Kinder leisten.

Nötig sei es daher, aus dem bildungspolitischen Patt herauszukommen. Was es brauche, seien klare Anleitungen und Handlungsempfehlungen. (APA, 4.10.2017)