Kirchdorf – Zusätzlich zu dem am Freitag bekanntgewordenen Fall einer tödlichen Medikamentenverwechslung bei einem 61-Jährigen in der Intensivstation des Krankenhauses Kirchdorf in Oberösterreich gibt es nun drei weitere Verdachtsfälle, die sich innerhalb einer Woche zugetragen haben könnten. Eine der davon betroffenen Patienten ist ebenfalls gestorben.

Die Krankenhausverantwortlichen wollen derzeit jedenfalls nicht ausschließen, dass auch diese Patientin in Zusammenhang mit einer entsprechenden Infusion gestorben ist. Die Frau war eine hochbetagte Palliativpatientin und zuvor in einem anderen Krankenhaus behandelt worden. Für sie war bereits ein "Behandlungsrückzug" beschlossen. Weil sich ihr Zustand in häuslicher Pflege verschlechterte, wurde sie in das Spital Kirchdorf eingeliefert. Auch die beiden weiteren Patienten könnten von derselben Medikamentenverwechslung betroffen gewesen seien, ohne jedoch gesundheitliche Folgeschäden davongetragen zu haben.

Nach Wien verlegt

Der 61-Jährige war gestorben, nachdem er im Landeskrankenhaus Kirchdorf eine falsche Infusion erhalten hatte. Er war am 30. September mit Vorhofflimmern in das eingeliefert worden. Als sich sein Gesundheitszustand verschlechterte, wurde er mit dem Hubschrauber nach Wien verlegt, wo er am 3. Oktober starb.

Die Verwechslung der Medikamente passierte offenbar, weil eines davon in der Station falsch eingeordnet war und bei der Verabreichung nicht näher kontrolliert wurde, gaben die Krankenhausverantwortlichen in einer Pressekonferenz am Freitag bekannt.

Obduktion angeordnet

Die zuständige Staatsanwaltschaft Steyr ermittelt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Auch eine Obduktion wurde angeordnet, ein Ergebnis liege aber noch nicht vor. Ermittelt werde einerseits gegen einen Mitarbeiter des Pflegepersonals, der dem 61-Jährigen die Infusion verabreicht haben soll, sowie gegen unbekannt. Mit den Erhebungen wurde das Landeskriminalamt Oberösterreich beauftragt.

Etikett nicht kontrolliert

Der Mann war mit dem Notarzt eingeliefert und in die Intensivstation gebracht worden. Der Laborbefund ergab unter anderem einen Kaliummangel. Daraufhin erfolgt die ärztliche Verordnung von einer Infusion mit Kalium/Magnesium neben anderen Medikamenten. Ein Pfleger entnahm die Flasche einer Lade, in der diese normalerweise aufbewahrt wird, und hängte sie, ohne das Etikett zur Kontrolle anzusehen, dem Patienten an.

Nach Beginn des Eintropfens klagte der Patient jedoch über Brennen in Mund, Gesicht und beiden Händen. Zudem wies er eine erhöhte Herzfrequenz auf. Die Symptome ließen eine allergische Reaktion auf ein ebenfalls eingesetztes Medikament vermuten. Dieses wurde abgesetzt, die Infusion aber fortgesetzt und zur Gänze verabreicht.

Später zeigte eine Blutgaskontrolle einen Anstieg des Kalziumwerts. Zudem wurde überprüft, wie viel Kalzium in den bereits verabreichten Medikamenten war. Der Abteilungsleiter hegte den Verdacht einer Hyperkalzämie – einer Störung des Kalzium- und Phosphathaushalts – und leitete eine erhöhte Harnausscheidung zur Senkung des Werts ein.

Medikamente üblicherweise in verschiedenen Räumen

Zugleich wurde in der Intensivabteilung recherchiert. Dabei stellte sich heraus, dass es offenbar eine Verwechslung gegeben hatte: Statt einer Kalium/Magnesium-Spezialinfusion für den Einsatz bei Herzrhythmusstörungen hatte der Mann eine Kalziumchlorid-Magnesium-Infusion bekommen, die für Blutwäsche eingesetzt wird. Die beiden unterschiedlichen Medikamente werden üblicherweise in zwei verschiedenen Räumen aufbewahrt. Diesmal war aber die zwölf Flaschen enthaltende Packung mit Kalziumchlorid-Magnesium-Infusionen in der Lade für die Kalium/Magnesium-Spezialinfusionen eingeordnet.

Das Krankenhaus kontaktierte mehrere Spezialisten, unter anderem die Vergiftungszentrale. Der Zustand des Patienten war mit der eingeleiteten Therapie zunächst stabil. Dann verschlechterte er sich aber zu einem Multiorganversagen. Am Montag wurde der Mann mit dem Hubschrauber in die Wiener Universitätsklinik verlegt, wo er am Dienstag starb.

Maßnahmen gegen weitere Verwechslungen

Die Oberösterreichische Gesundheits- und Spitals-AG (Gespag) hat am Dienstag und am Donnerstag Sachverhaltsdarstellungen an die Staatsanwaltschaft Steyr übermittelt. Diese habe mitgeteilt, dass sie rasch mit Ermittlungen beginnen werde, berichteten die Vorstände Karl Lehner und Harald Geck sowie der ärztliche Leiter des Krankenhauses Kirchdorf, Oswald Schuberth, am Freitag.

Die Gespag hat nach dem Vorfall in allen ihren Häusern beim Medikament Calciumchlorid Magnesiumchlorid auf kleinere Gebindegrößen umgestellt, um die Unterscheidbarkeit zu erhöhen. Denn die beiden verwechselten Infusionen hatten zwar unterschiedliche Etiketten, aber eine ähnliche Größe. Außerdem wurden alle Krankenhausleitungen angewiesen, erneut alle Mitarbeiter zu sensibilisieren, dass sie jedes Medikament vor der Verabreichung intensiv prüfen. Zudem wurde die sanitäre Aufsicht des Landes informiert.

Die Krankenhausleitung in Kirchdorf ist in Kontakt mit den Angehörigen des verstorbenen 61-Jährigen. Ihnen wurde psychologische Hilfe angeboten, was sie aber ablehnten. Die Gespag hat dem in die Fälle involvierten Pflegepersonal rechtliche und psychologische Unterstützung zugesagt. Der Pfleger des 61-Jährigen wurde beurlaubt. Die anderen sind nicht freigestellt oder im Urlaub. (APA, red, 6.10.2017)